Von Lotterie, Krippenlandschaften und Weintrauben
Dénia (lk). ¡Feliz Navidad! So wünscht man sich in Spanien ein frohes Fest. Rund 30.000 Deutsche leben dauerhaft an der Costa Blanca bei Valencia und Alicante. Mehrere Hunderttausend verbringen mehrere Monate im Jahr an ihrem zweiten Wohnsitz. Zur Advents- und Weihnachtszeit zieht es viele aber nach Deutschland, weil sie hier die heimelige Stimmung vermissen. Für die auch nicht wenigen, die Weihnachten in der Sonne des Südens verbringen, bietet das Tourismuspfarramt der EKD an der Costa Blanca mit seinen Gottesdiensten und Veranstaltungen ein wenig Vertrautheit in diesen Tagen.
Mitte November, bei strahlendem Sonnenschein, wenn nicht wegen einer Gota Fría (sturzflutartige Regenfälle) gerade Land unter ist, beginnen in den Kirchenräumen die Vorbereitungen: Plätzchen werden gebacken, Adventskränze werden gebunden, die auf den zahlreichen Basaren der Deutschen Clubs an der Costa Blanca angeboten werden. In spanischen Geschäften sind diese genauso wenig zu finden wie frisches Tannengrün an der Mittelmeerküste.
Weil die Adventszeit in Spanien recht unspektakulär daherkommt, suchen die Deutschsprachigen an der „Weißen Küste“ gerade dann vertraute Traditionen, kommen zu Gottesdiensten und Adventsfeiern zusammen. Und natürlich muss am 6. Dezember auch der Nikolaus einkehren, der ansonsten um Spanien einen Bogen zu machen scheint.
Das große Los: „El Gordo“
Dass Weihnachten vor der Tür steht, bemerkt man ansonsten nur durch die vielen Losverkäufer, die im Dezember für die Weihnachtslotterie unterwegs sind. Mit dieser beginnt in Spanien eigentlich erst die Vorweihnachtszeit. Es ist nicht nur die größte, sondern wohl auch die älteste Lotterie der Welt. Wenn am 22. Dezember fast alle Spanier gebannt vor dem Fernseher sitzen, um den Kinderchor zu hören, der die Gewinnzahlen singt, machen sich nicht nur Einzelpersonen, sondern auch ganze Orte, Vereine und auch Kirchengemeinden Hoffnung auf den „Gordo“, den wörtlich dicken, fetten Gewinn. Üblicherweise werden die sehr teuren Lose von einer Gemeinschaft gekauft und in einer kleinen Stückelung (achtzigstel) von den Mitgliedern bezahlt. So kommt es, dass manchmal ein ganzes Dorf Gewinner des „Gordo“, des großen Hauptgewinnes ist.
Auch der 24. Dezember ist zunächst ein Tag wie jeder andere. Geschäfte und Restaurants sind selbstverständlich geöffnet. In der Touristenhochburg Benidorm feiern Briten lautstark und feuchtfröhlich. Durch die zur Partymeile mutierte Altstadt ebne ich mir mit Talar über dem Arm und den Kerzen für den ersten Gottesdienst den Weg zur barocken Kirche San Jaime.
Party neben Weihnachtsgottesdiensten
200 bis 300 Besucher kommen zur Christvesper um 15.30 Uhr, stimmen in der Kirche bei Kerzenschein „O Du fröhliche“ und „Stille Nacht“ an, während draußen die Party erst richtig beginnt. Mein Kollege ist derweil in Orihuela Costa, 150 km südlich – um auch dort mit ähnlich großer Schar den Weihnachtsgottesdienst zu feiern.
Nach dem Gottesdienst ist draußen immer noch nichts von Nacht und Stille zu spüren: 20 Grad und strahlender Sonnenschein. Während einige Gottesdienstbesucher bis zum Sonnenuntergang (um 18.30 Uhr) am Strand verweilen, geht es für mich weiter zur nächsten Christvesper in das deutsche Altenheim und schließlich zur Christnachtfeier in die Ermita las Rotas in Dénia, 50 km nördlich von Benidorm.
Um 22 Uhr ist die Kirche voll besetzt, endlich kommt auch eine vertraute Weihnachtsstimmung auf. Vielleicht trägt dazu auch „unser“ Weihnachtsbaum bei. Mit etwas Glück ist er echt, in der Regel ist er nur täuschend echt. Denn auch die Tradition des Weihnachtsbaumes kam erst in den letzten zehn oder zwanzig Jahren nach Spanien.
Nach dem Krippenkuss auf die Plätze vor den Kirchen
Wichtiger ist hier im Land die Tradition der „Belén“, der Krippenlandschaften, die mehr oder weniger kunstvoll in Kirchen oder bei öffentlichen Gebäuden aufgebaut werden, und nicht nur Kinder in ihren Bann ziehen. An Weihnachten wird dann in den Kirchen eine lebensgroße Puppe in die Krippe gelegt, als das Kind, das von allen Besuchern geküsst wird. Andere Länder, andere Sitten.
Wer nach der deutschen Christnachtfeier und dem anschließenden obligatorischen Glühwein in der Ermita noch etwas spanisches Weihnachtskolorit erleben möchte, den zieht es um Mitternacht dieser „Nochebuena“ in die Altstadt von Dénia, um mit den spanischen Familien die „Misa de Gallo“ zu feiern oder um nach der Messe noch stundenlang das stimmungsvolle Miteinander auf dem Platz vor der Kirche zu genießen.
Der erste Weihnachtstag schließlich ist auch in Spanien einer der wenigen Feiertage, an denen alles still zu stehen scheint. Da fast in jeder katholischen Kirche, in denen wir als deutsche Gemeinde zu Gast sind, fast rund um die Uhr Messe gefeiert wird, feiern wir unseren Weihnachtsgottesdienst in der deutschen Schule in Valencia. Für Spanier ist nach einem Besuch in der Messe der Tag ganz der Familie gewidmet – mit ausgiebigem Essen zuhause oder im Restaurant. Auf Geschenke hingegen müssen spanische Kinder noch bis zur Ankunft der „Reyes“, der Heiligen Drei Könige, warten.
Stilles Silvester, laute "Könige“
Zuvor steht aber noch der Jahreswechsel an, für uns mit einem Silvestergottesdienst in der Ermita, für spanische Familien mit einem ausgiebigen Essen im Restaurant, bevor es um Mitternacht wieder auf einen zentralen Platz geht, wo auf Großleinwand mitzuerleben ist, wie in Madrid an der Puerto del Sol alles gebannt auf die zwölf Schläge der zentralen Uhr wartet. Wer zu jedem Glockenschlag eine Traube ist, dem soll im neuen Jahr reichlich Glück beschieden sein. Wie gut, dass es in den Supermärkten schon Päckchen mit abgezählten kernlosen Trauben gibt. Böller und Feuerwerk, die es ansonsten das ganze Jahr über in Spanien bei Hochzeiten und Fiestas zu sehen und hören gibt, sucht man in der Silvesternacht in Spanien vergeblich.
Für spanische Kinder kommt schließlich der Höhepunkt des Weihnachtsfestes am 5. Januar, wenn in allen Dörfern und Städten die „Reyes“ (Könige) mit lauter und fröhlicher Musik ihren Einzug halten, sei es auf Prunkwägen, Schiffen, Pferden oder gar auf Elefanten. In Madrid zieht dieses an Rosenmontagsumzüge erinnernde Spektakel jährlich Millionen von Besuchern an. Aber auch in einer Kleinstadt wie Dénia drängt sich alles dicht an dicht, um etwas von den „Caramelos“, den Süßigkeiten, die die Könige unters Volk werfen, zu ergattern. Wenn die Könige schon einmal da sind, bringen sie natürlich auch in der Nacht zum 6. Januar den Kindern ihre Geschenke. Und wer am nächsten Tag in seinem „Rosco de Reyes“, dem Dreikönigskuchen, eine kleine Königsfigur entdeckt, darf einmal einen ganzen Tag lang selbst König sein.
Für die Deutschen ist der Dreikönigstag der Stichtag, den – in Spanien immer noch fremden – Weihnachtsbaum abzuschmücken. Falls es denn ein echter war, wird er dank der Wärme sowieso schon alle Nadeln verloren haben.
Hintergrund: Klaus Eicher ist seit 2016 Pfarrer der deutschen evangelischen Auslandsgemeinde in Dénia an der Costa Blanca. Er betreut die deutschen Bewohner und Touristen in der Region zwischen Valencia, Dßenia, Benidorm und Torrevieja.