Hausandacht 

Von Indikativen und Konjunktiven

Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst (Foto: Landry)

Von Indikativen und Konjunktiven

Gedanken zur Passion

Hätte, hätte, Fahrradkette?

Wäre, hätte, würde?

Würde ist ein Konjunktiv.

Würde ist kein Konjunktiv.

 

Jesus von Nazareth. Seit zweitausend Jahren Leitbild für über zwei Milliarden Christen und Christinnen weltweit. Superheld unseres Glaubens sozusagen. Aber seine Geschichte ist keine Heldengeschichte. Gerade auf der letzten Etappe seines Lebens auf Erden muss sich Jesus von denen verspotten lassen, die sich unter einem Helden etwas ganz anderes vorstellen. Jemanden mit Würde. Aber da hängt einer so ganz würdelos am Kreuz. Und vorher nimmt man ihm die Würde, indem man ihn bespuckt und verhöhnt, verhört und quält. 

Nehmen wir einen Ausschnitt aus dieser Geschichte einer Passion, eines Leidensweges, eines offiziellen Würdeverlustes: Da steht der Delinquent, der Übeltäter, der Gotteslästerer vor Gericht. Nicht vor einem weltlichen, sondern vor einem geistlichen. Die geistliche Obrigkeit befragt ihn nach seiner Lehre. Freilich längst in der festen Überzeugung, dass diese Lehre nichts taugt, im Widerspruch steht zur herrschenden geistlichen Meinung - und damit zu verurteilen ist. Und Jesus? Der verweigert sozusagen die Auskunft. Nicht, weil er nichts zu sagen hätte, sondern weil er lange vor diesem Verhör schon kein Hehl aus seiner Lehre, aus seiner Meinung gemacht hat. Jeder, der es wissen will, kann wissen, was er zu sagen hat. Das Verhör ist eine Farce, auf die sich Jesus nicht einlässt. 

Ein Gerichtsdiener schlägt ihn ins Gesicht. Als Strafe dafür, dass sich da einer so respektlos verhält und die Würde des Gerichts mit Füßen tritt. Aber Jesus knickt nicht ein. Er steht da in Fesseln und Banden und argumentiert erstaunlich nüchtern und sachlich. Entweder erzählt er Unfug, dann liegt die Beweislast beim Gericht. Oder er spricht Wahres, dann gibt es keinen Grund, dass er so dasteht und sich demütigen lassen muss. Und mit dieser Antwort verweigert er in gewisser Weise ein zweites Mal den Respekt, verkehrt die Rollen ins Gegenteil. Ihm nimmt man die Würde? Ach ja? Welche Würde haben denn die in den Seidenroben, die ihre Position benutzen, um ein unfaires Spiel zu spielen? Liegt die Würde nicht eher bei dem, der sich auf dieses Spiel nicht einlässt? 

Jesus lässt sich auf das Spiel nicht ein. Bis zum bitteren Ende. Und am bitteren Ende hängt da einer am Kreuz mit Fetzen am Leib, Wunden am Leib und letztlich auch einer wunden Seele. Aber gerade die Wunden an Leib und Seele strahlen just diese Würde aus, die uns nach so vielen Jahren noch immer mit Hoch-Achtung das Kreuz betrachten lassen. Wir blicken auf zum Kreuz, nicht hinunter auf einen Verschmähten, Verachteten und Verurteilten. Wir blicken auf zum Kreuz und sehen Würde im Indikativ. Auf Golgatha ist Würde in Reinkultur. Und wegen Golgatha ist sie das für alle Zeiten gerade in denen, die man verschmäht, verachtet und verurteilt. 

Und so hat vor zweitausend Jahren schon einer gelehrt und vorgelebt, was selbst unser Grundgesetz heute ganz an den Anfang stellt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist es. Und basta. Alles, was Würde in den Konjunktiv setzt, muss sich mit diesem Indikativ auseinandersetzen. Nicht wenn, nicht falls, nicht unter Umständen. Sondern: Ein jeder Mensch hat ein Recht auf Würde und würdige Lebensumstände. Das würde nicht am Anfang stehen, sondern das steht am Anfang jeder Diskussion um Allgemeinwohl, um Menschenwohl. Besonders wenn es um die geht, denen man gerne die Würde abspricht. Weil sie am so genannten Rand der Gesellschaft sind. 

Im Indikativ des Kreuzes werden die viele Konjunktive unserer Diskussionen genauso zur Farce wie die Szene zwischen Jesus und seinen Richtern. Das Kreuz setzt einen Indikativ, macht Würde zum Substantiv und Menschen zu Subjekten. Und deshalb wünsche ich mir im Nachdenken über das Leiden Christi Diskussionen, die sich nicht in Konjunktiven und Spiegelgefechten verlieren. Im Blick auf das Kreuz wünsche ich mir, dass Würde immer und überall ein Substantiv ist und sich nicht im Durchkonjugieren falscher Maßstäbe erschöpft. Auf dem Weg Richtung Karfreitag wünsche ich mir eine Welt, in der jeder Mensch Subjekt seiner Geschichte sein darf und nicht zum Objekt von Interessenskonflikten wird, die nichts, aber auch gar nichts mit dem zu tun haben, wofür der Mensch am Kreuz sein Leben ausgehaucht hat. Denn: 

Würde ist kein Konjunktiv.

Würde ist ein Substantiv.

Würde ist ein Indikativ.

 

Würde wäre nicht ein Menschenrecht.

Würde ist ein Menschenrecht.

 

Würden wir Würde so verstehen,

dann würde Gott das gefallen.
Halt.

 

Dann gefällt das Gott.

 

Amen.

   

Lied zum Anhören (und Mitsingen): Holz auf Jesu Schulter (EG 97)

 

www.youtube.com/watch?v=OQ9GAfJruqQ