75. Jahrestag des Stalin-Erlasses zur Deportation der Wolgadeutschen 

Trauerarbeit mit Russlanddeutschen

Kirche in Deutschland (EKD) und Integrationsbeauftragter der Evangelischen Kirche der Pfalz

Kirche in Deutschland (EKD) und Integrationsbeauftragter der Evangelischen Kirche der Pfalz

Speyer (lk). Dass die Integration von Menschen aus anderen Staaten in der bundesrepublikanischen Gesellschaft langen Atem braucht, hat der Vorsitzende der Konferenz der Aussiedlerseelsorge der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Reinhard Schott, in Speyer betont. Aus Anlass des 75. Jahrestages des Stalin-Erlasses zur Deportation der Wolgadeutschen am 28. August 1941, erklärte Schott, dass politische Verfolgung, Mord und Denunziation„Traumata in den Familien hervorriefen, unter denen die Nachfahren heute noch leiden, obwohl sie längst in Deutschland leben und die jüngeren unter ihnen hier geboren wurden“.

Es gäbe keine russlanddeutsche Familie, für die der 28. August 1941 nicht schicksalhaft gewesen sei, sagt Schott, der heute Integrationsbeauftragter der Evangelischen Kirche der Pfalz und des Diakonischen Werkes Pfalz ist. Durch den Erlass über die Zwangsumsiedlung der Wolgadeutschen seien fast eine halbe Million Menschen in Güterwaggons aus den westlichen Teilen der Sowjetunion, aus Georgien und Aserbaidschan nach Sibirien und Mittelasien deportiert worden. Als sogenannte Volksfeinde habe man Männer und Frauen zur Zwangsarbeit eingezogen, die Kinder sich selbst überlassen. Viele seien an Krankheiten, Unterernährung und Erschöpfung gestorben. „Wir haben geschwiegen wie die Fische“ sagt ein heute 79-Jähriger Russlanddeutscher. „Die Angst vor Übergriffen war unser ständiger Begleiter.“

Reinhard Schott, dessen Eltern 1941 selbst aus der Ukraine nach Nord-Kasachstan deportiert wurden, erinnert daran, dass mehr als vier Millionen Deutsche aus der ehemaligen Sowjetunion in den letzten Jahrzehnten in die Bundesrepublik gekommen sind. „Etwa die Hälfte von ihnen bekennt sich zum evangelischen Glauben“, erläutert Schott, der seine Kindheit in Nord-Kasachstan verbracht hat. Heute bildeten die „Russlanddeutschen“ rund zwölf Prozent der Mitglieder in der EKD und der Pfälzischen Landeskirche. Sie seien damit die größte Zuwanderergruppe. Trauerarbeit mit Russlanddeutschen ist nach Auffassung des Vorsitzenden der Aussiedlerseelsorge noch lange nötig. Die Kirchengemeinden trügen eine große Mitverantwortung, „damit aus dem mutigen Aufbruch nach Deutschland auch gelingende Lebensläufe und eine gute, aktive Partizipation in Kirche und Gesellschaft werden“, sagte Schott.

Für Reinhard Schott, dessen Vater in den Gulag nach Workuta geschickt und erst nach Stalins Tod  begnadigt wurde, ist das eigene Familienschicksal Motivation, sich um Zuwanderer und die Integration von Aussiedlern und Migranten zu kümmern. In Folge der Ost-Verträge durfte seine Familie im Dezember 1972 in die Bundesrepublik ausreisen. Da sein Schulabschluss  nur teilweise anerkannt wurde, machte er zunächst eine Ausbildung im Postdienst und holte seinen Schulabschluss in der Abendschule nach. Schott besuchte das Theologische Seminar St. Chrischona in der Schweiz und wurde zum Prediger im Evangelischen Gemeinschaftsverband der Pfalz berufen. Seit 1988 ist er Beauftragter der Landeskirche für die Aussiedlerseelsorge; sein Tätigkeitsfeld umfasst heute die Bereiche Asylsuchende, Flüchtlinge und Migranten.