Theologie studieren für das Leben
Theologie und Kirche sind ihrem Wesen nach dann richtig bestimmt, wenn sie sich als hilfreich erweisen für das Leben, für das Leben, wie es uns von Gott gegeben und verheißen ist. Christliche Theologie ist – nach einer Definition von Gerhard Ebeling – „Theologie für das Leben“; und Kirche ist – nach der berühmten Definition von Dietrich Bonhoeffer – „Kirche für andere“, Kirche für das Leben Anderer.
Zur Theologie gehört darum von vornherein die Bindung an die Wirklichkeit der Kirche. Christliche Theologie ist von Anfang an im Lebenszusammenhang der Kirche entstanden – und ist und bleibt auf diesen Zusammenhang angewiesen. Umgekehrt: Seit es die Kirche gibt, hat sie sich der Theologie bedient. Mit ihrer Hilfe wurde und wird die kirchliche Lehre auf ihren Wahrheitsgehalt hin geklärt – und die Heilige Schrift ausgelegt. Theologie und Kirche stehen somit in einem Verhältnis der wechselseitigen Verantwortung füreinander. Die konstruktive Verbindung von Theologie und Kirche markiert im Übrigen einen Schnittpunkt der großen Traditionen evangelischer Theologie im 19. und 20. Jahrhundert. Hier stimmen die Theologen Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher auf der einen – und Karl Barth und Rudolf Bultmann auf der anderen Seite im Kern überein.
Zwei Sachverhalte seien beispielhaft benannt, weshalb wissenschaftliche Theologie unverzichtbare, weil kritische Instanz der kirchlichen Praxis zu sein hat. Indem sie daran erinnert, dass die Bibel Gottes Wort als mündliches, das heißt als existenziell anredendes – in eine ganz konkrete Situation hinein sprechendes Wort bezeugt, verhilft die Theologie dazu, die Zeitgemäßheit des kirchlichen Auftrags zu betonen. Gottes Wort ist konkret und zeitbezogen und darum nie zeitlose Wahrheit.
Nicht Indoktrination kann darum Sache der Kirche sein, sondern das achtsame Hören auf das unverfügbare Wort des Evangeliums, das nicht bloß unsere Wirklichkeit betrifft, sondern auch die Kraft hat, das Hier und Heute heilsam zu unterbrechen und zu verwandeln. Nicht alles beim Alten zu lassen, sondern neue, ungeahnte Horizonte zu erschließen, zu eröffnen: Spiel-Räume des Reiches Gottes. Das meint wohl Martin Luther, wenn er sagt, die wahre Theologie sei praktisch: „Vera theologia est practica“. Und das heißt doch, dass sie mich in meinem Herzen berührt – und in einen neuen Lebensraum übersetzt, mir das Reich Gottes im Glauben zuspielt. Diesem – eine neue Zeit verheißenden – Wort hat Kirche zu dienen. Irdischer Sprachraum des Evangeliums ist sie. Dabei geht es um Erlaubnis, um die sakramentale Meditation des göttlichen Wortes als Gabe, also um’s Darreichen des Reichtums und des Überflusses Gottes; auch: um die Freiheit zum Wort, zu einer „nova lingua“, einer „neuen Sprache“, der auf Seiten der Glaubenden ein verstehendes und freies, nie erzwungenes Einstimmen korrespondiert. So sehr sich also das in der Kirche laut werdende Evangelium an die jeweilige Zeit und Situation zu richten hat, so wenig richtet es sich nach der Zeit. Andernfalls würde es in „ein anderes Evangelium“ (Galater 1, 6) verkehrt. Es drohte dann Gottes heiliger Geist durch den Zeitgeist ersetzt zu werden.
Demgegenüber – und das ist der zweite Aspekt – ist es die kritische Aufgabe der Theologie, an die Sachgemäßheit, man könnte auch sagen: an die Schriftgemäßheit des kirchlichen Auftrags zu erinnern. Dabei geht es nicht um ein einfaches Nachsprechen der biblischen Sprache; die Bibel ist gerade kein Musterbuch frommer Redeweise. Vielmehr werden wir durch sie, durch die biblischen Texte, instand gesetzt zu einer eigenen, selbstständigen Sprache des Glaubens: einer Sprache, die dem Geist und der Macht der Zeit nicht verfällt, auch nicht verhaftet bleibt an den Augenblick, sondern Zeit, neue Zeit, gewährt und anbrechen lässt – und so in Freiheit versetzt. Ist doch das wahrhaft Zeitgemäße oft genug: das Fremde, das Andere, das Überraschende – das Unzeitgemäße.
Eben darum sind kirchliches Handeln und wissenschaftliche Theologie wesentlich aneinander gewiesen: Ohne Theologie leidet die Zeit- und Sachgemäßheit der kirchlichen Verkündigung; sie wird saft- und kraftlos. Ohne Bezug zur Kirche aber hört die Theologie auf, „praktisch“ zu sein, das heißt, lebens- und weltbestimmend. Sie mutiert zu einer bloß „spekulativen Theologie“ und die, sagt Luther, gehört bekanntlich „in die Hölle zum Teufel“. Demgegenüber ist die Kirche der Ort, den sich die Wahrheit des Evangeliums auf Erden geschaffen hat – und in dem Gott die Glaubenden in seiner Gegenwart versammelt. In die Welt sind sie, sind wir gesandt, um ihr mitzuteilen und in unserer Existenz auch darzustellen, dass Gott in Jesus Christus mit allen Menschen zusammenleben will. Als in Christus mit Gott Versöhnte sollen wir auch untereinander versöhnt zusammenleben.
Kirche und Theologie „für das Leben“ – für unser Leben und für das Leben auf der gesamten bewohnten Erde.
Schwerpunkt Bildung - Hintergrund: Vom 21. bis 23. November 2019 tagt die Herbstsynode der Evangelischen Kirche der Pfalz im Mutterhaus der Diakonissen Speyer, Hilgardstraße 26, in Speyer. Thematischer Schwerpunkt ist Bildung. Die Landessynode ist als kirchliche Volksvertretung die Inhaberin der Kirchengewalt. Sie trifft wesentliche Entscheidungen in den geistlichen, rechtlichen und finanziellen Bereichen der Landeskirche. Ihre Amtszeit beträgt sechs Jahre. Interessierte können an den öffentlichen Sitzungen teilnehmen.