Hausandacht 

Tageslichttauglich werden

Tageslichttauglich werden.  

  

Sitze ich im Dunkeln, ist der HERR mein Licht. (Micha 7,8) [1]

Gestern war es wieder so lange hell bei dir,
im Heimbüro, ruft sie an der Terrassentür.
Der Olivenbaum hat den Frost leider nicht überlebt.
Aber ihr macht mir den Garten so toll!
Allein die Krokusse … Ein Juchzen aus ihrem Mund.
Mädchenhaft. Dann zieht sie die Strickjacke enger,
tippelt ihre Schritte. Terrassengang, wie jeden Tag.

Seit einem Jahr geht sie kaum nach draußen.
Ihre Außenwelt, die Stimme am Telefon.
Ihr Sohn aus Italien, wo sie selbst gewohnt hat.
Die Speyrer Olivenzweige erzählten ihr von früher.
In Italien ist's schlimmer als hier, ich hab´s ja gut.
Allein, dass ich geimpft bin. Ein Wunder …

Eine halbe Nacht lang singt sie vor Freude.
Nur weil ich ihr den Termin verschafft habe.
Schließlich will ich neunzig werden.
Den Urenkel will sie sehen. Irgendwann.
Die müden Augen funkeln zuversichtlich.
Was hab ich´s gut. Auch wenn ich wachliege.
Und auf den Morgen warte.
Da seh ich oft Licht bei euch oben.
Pass auf dich auf, das Leben ist kurz.

Sie ist mein Schutzengel. In Strickjacke.
Wie sie da läuft … Bis ihr schwindlig wird.
Ich muss wieder rein. Meinen Sohn anrufen.
Er ist oft so trübsinnig
. Sagt sie.
Und strahlt. Wie ihr Silberstrubbelhaar.

Kind des Lichts. Meine Nachbarin.

Darf ich echt niemand einladen zum 18ten?
Die Stimme so müde wie angriffslustig.
Guten Morgen, nuschelt er
Die Sonne hängt längst hoch am Himmel.
Er schlakst sich zur Kaffeemaschine.
Wie immer barfuß, auf dem Weg zur Schule.
Gleich neben der Konsole.
Schooling auf dem einen Monitor,
auf dem anderen Gaming. No Problem.
Den Lehrern muss ich eh das Internet erklären. 
YouTube und Netflix sind leer geschaut wie seine Augen.
Was gibt´s auch anderes zu tun. Es geht ja eh nix.
Stimmt, ich mag nicht mit ihm tauschen.
Zum Verzweifeln, das Erwachsenwerden.
Wie soll das gehen … Highlights im Lockdown.
Nähe mit Abstand. Verlieben und entlieben.
Noch härter als sonst.
Wie soll ich jemals eine finden?
Weinen in die Kissen. Weinfahne aus dem Mund.  

Letztes Jahr im März, da hätt ich feiern sollen.
Nun wird er volljährig, die große Sause verschoben.
Um eine kleine wird zäh verhandelt.
Und wenn nur Zwei kommen, mit Schnelltests?
Er blinzelt gewinnend, als ich ins Zimmer spitzle.
Ich hab auch mal Luft hier rein gelassen.
Ein wenig Tageslicht zwängt sich hinterher.
Bitter nötig. Süßsauer riecht sein Leben.
Nach Adiletten und Chipsletten. 

Wir reden noch, sagt er. Ich nicke nur.
Der Kopfhörer sitzt ohnehin wieder auf den Ohren. 
Durch die Tür erneut Ballern, Lachen, Singen.
Sound seiner eintönigen Tage und Nächte.
Kennst Du schon den Witz mit dem Impfen?
Ruft´s vorm Kühlschrank, um Mitternacht.
Das Mondlicht spielt auf den Wuschelhaaren.
Ach, der große Kleine. Frei auflachen soll er,
das Leben feiern. Eines Tages.  

Kind des Lichts. Mein Sohn.

Ein Glück, meine Tochter kann mir spenden …
Ich muss schlucken. Trotz der guten Nachricht.
Es ist sechs Uhr früh. Stockdunkel.
Die Stimme am Telefon schwach.
Das Fieber ist wieder hoch. Kein Wunder.
Doch, ein Wunder.

Vor zwei Jahren fiel das Wort das erste Mal.
Fiel ich aus allen Wolken. Mehr noch er.
Aus seinem Himmel voller Geigen.
Musiker, der er ist. Krebs war das Wort.
Ich werde wieder spielen, sein Satz. Sein Vorsatz.

Eines Tages schmiegt er sie wieder an den Hals.  
Die Violine. Sie antwortet zärtlich, mit leisem Zittern.
Vielleicht zittere ich auch selbst.
Die Gummimanschette im Blick.
Die seinen Unterarm stützt.
In leisem, hautfarbenen Ton.
Und eben dadurch so schreiend.
Ach ja, das wird bleiben. Aber ich bin gesund.

Bis vor zwei Monaten.
Das zweite Mal dieses Wort.
Diesmal aber … im Blut. Ein Fluch.
Selbst Hiob weint mit uns.
Eins kommt zum anderen. Klinik.
Chemococktail. Corona. 
Stoßgebete. Mutlose Mutmachwörtchen.
Ewig keine Antwort im Chat.
Bis zu diesem Morgen.

Schrecklich … die Ärzte … fast aufgegeben …
Ich höre nur Wortfetzen. Und diesen Satz:
Meine Tochter passt als Stammzellspenderin.
Ein Ostersatz. Neues Blut. Neues Leben.
Ein Lichtblick. Ein Glück. Ich bin gesegnet.
Als ich auflege, weht mir der Frühling ins Ohr.
Von Vivaldi. Gespielt auf der Geige.
Die Märzsonne steigt auf, kühl noch,
aber ich ahne schon ihre Wärme.

Kind des Lichts, mein Freund.

Und ebenso ich. Und wir. Und ihr.

Ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. (1. Thessalonicher 5,5)

Herzüberkopf sind wir hineingetauft,
hineingetaucht ins Licht der Welt, in Christus.
Er ist die reine Sonne. Dringt durch jede Ritze.

Blinzelt über´s Silberhaar.
Tanzt auf dem Klinikbett.
Kitzelt das Jungenlachen hervor.
Trotz alledem und alledem.

Ja, wir sind Osterkinder, tageslichttauglich.
Durch das Dunkel hindurch. AMEN
.


[1] Losung zum 9.3.2021 Übersetzung der BasisBibel