Andacht 

Stark wie eine Löwin

Synode, Anja Behrens

Gestern meldet sich eine Freundin aus dem Krankenhaus. Als ich ihre Nachricht lese, zucke ich zusammen: Denn ich hatte sie in all den Coronawirren vergessen. Das erschreckt mich. Und ich merke, wie besetzt ich bin mit den Nachrichten über das Virus und die damit verbundenen Einschränkungen und meinem eigenen Unwohlsein.

Vor zehn Tagen hatten wir das letzte Mal Kontakt. Jetzt berichtet sie, dass sie bald das Krankenhaus verlassen darf und sich sehr freut, nach Hause zu können. „Was draußen los ist, kann ich nicht realisieren“, schreibt sie. Nein, sie ist nicht an Covid-19 erkrankt. Gott sei Dank. Denn sie gehört mit ihren Vorerkrankungen zu der sogenannten Risikogruppe. Was für ein Wort, denn es ist ja viel mehr als eine Gruppe – es sind Menschen, die wir kennen und die uns am Herzen liegen. Und oft können wir viel von ihnen lernen. Meine Freundin zum Beispiel zeigt mir immer wieder, wie es geht, Geduld und Hoffnung zu haben.

Wenn ich an sie denke, dann bekommen Paulus Worte aus dem Römerbrief ein Gesicht und eine Geschichte: „Wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden.“ (Römer 5, 4)

Meine Freundin ist seit ihrer Kindheit chronisch erkrankt. Und sie ist stark wie eine Löwin. Sie weiß, was Bedrängnisse sind. Sie weiß, wie es sich anfühlt, keine Luft zu bekommen. Sie weiß, wie zerbrechlich das Leben ist und dass es manchmal an einem seidenen Faden hängt. Und sie strahlt eine Lebensfreude aus, die ansteckend ist im besten Sinn. Sie lacht so gerne. Und nicht nur für mich hat sie immer ein aufmunterndes Wort. Wenn es geht, trifft sie sich mit Freundinnen, geht mit ihrem Rollator spazieren, gestaltet ihre Wohnung. Und vor allem macht sie Kunst. „Mich hat wieder die Muse geküsst!“, so schreibt sie vor einiger Zeit. Ihre Collagen sind farbenfroh, oft arbeitet sie mit Blau- und Türkistönen. Himmelhoffnungsbilder.

Sie sagt immer: „Jeder Tag ist ein Geschenk. Wenn es heute nicht geht, dann warte ich, bis ich wieder kann.“ Und während ich hier schreibe schickt sie mir eine Nachricht aus dem Krankenhaus: „Morgen darf ich heim und freu mich wie Bolle auf meinen Balkon und darauf, bald zu malen.“

So möchte ich durch diese Tage gehen, geduldig, voller Hoffnung und Lebensfreude auf jeden neuen Tag.

Anja Behrens, Kaiserslautern