Hausandacht 

Sehnsucht nach Südfrankreich

Oberkirchenrat Manfred Sutter. Foto: lk.

Speyer (lk). Oberkirchenrat Manfred Sutter spricht in seiner Hausandacht im Landeskirchenrat über Sehnsuchtslieder, Freiheit und das Reisen in den Süden:

„Schon so lang‘ ... Bin müde und leer, will nach Süden ans Meer“ – am vergangenen Donnerstag habe ich diesen Liedvers nach vielen Jahren wieder einmal gehört. Meine Kollegin Marianne Wagner hat den Text im Rahmen einer Andacht vor Beginn der Vorstellungsgespräche in der Vorstellungskommission verwendet. „Schon so lang‘ ... Bin müde und leer, will nach Süden ans Meer“ – der Liedvers hat mich elektrisiert, Erinnerungen an vergangene Tage wachgerufen. Er spricht mir aus dem Herzen, trifft meine Befindlichkeit im trostlosen Gefängnis der Corona-Pandemie: „Ich bin müde und leer, will nach Süden ans Meer.“

Von dem Liedermacher Hannes Wader stammen diese Zeilen ausseinem Lied „Schon so lang“. Ich erinnere mich an Livekonzerte mit Hannes Wader auf der Madenburg, die ich heute tagtäglich von meinem Balkon in Arzheim aus sehe. Der zitierte Liedvers weckt Erinnerungen an vergangene, unbeschwerte Jugendtage in meiner südpfälzischen Heimat, an verrückte, wilde Zeiten, in denen ich mit zwei Freunden mit einer Kreidler Florett von Landau bis nach Südfrankreich zum Zelten ans Meer gefahren bin. ... „Schon so lang ...“ist’s her.

In Zeiten, die depressive Züge tragen, neigen Menschen bekanntlich zur Regression, zum Rückzug in einen früheren „Aggregatszustand“. Im Wörterbuch für Psychologie kann man nachlesen: „Regression ist ein Abwehrmechanismus, der der Angstbewältigung dient, ein Zurückfallen in kindliche Verhaltensmuster.“ Na und, wenn’s hilft!

Aber neben diesen regressiven Tendenzen, bringen diese Liedzeilen vor allem meine unbändige Sehnsucht nach Freiheit zum Ausdruck: Meine Lust nach Süden ans Meer zu fahren, meine Lust frei zu reisen, wohin und wann immer ich will, meine Sehnsucht mich unbeschwert mit Freundinnen und Freunden zu treffen, Feste mit ihnen zu feiern, mein Spaß auszugehen, die Freude daran mit meiner Frau einen Einkaufsbummel zu unternehmen, meine Begierde lauthals mit anderen zu singen und zu musizieren, Konzerte zu besuchen, ins Kino und Theater zu gehen, und auch das: wieder einmal beim Friseur vorstellig zu werden und zwar ohne Termin, denn einen solchen habe ich mein ganzes Leben lang noch nie vereinbart.

Wir alle weisen Symptome der Corona-Hospitalisierung auf, jenes viral bedingten Zustandes vielfältiger Einschränkungen, der sich anfühlt wie ein Gefängnisaufenthalt, wie eingesperrt und festgebunden. Zwischen Trauer und Wut, Dünnhäutigkeit und Depression zoomen wir uns durch unsere Tage, haben uns die normalen menschlichen Gesten wie das Hände-schütteln oder Umarmen mühsam ab-und die Maskierung als Normalfall angewöhnt. Es ist ein Elend und keiner kann sagen, wie lange dieser unsägliche Zustand noch anhält.

Man ertappt sich dabei, kleine irrationale Ausbruchsversuche zu wagen. Am Sonntag etwa bin ich mit dem Motorrad an die Grenze nach Frankreich gefahren und habe sehnsüchtig hinübergeschaut. Am liebsten wäre ich natürlich hinübergefahren, einfach so. Aber die Grenzen sind bewacht und die Diagnose „unstillbare Frankophilie“ ist kein ausreichender Grund einen Grenzüberschritt gestattet zu bekommen. Trotzdem bedarf es solcher kleiner Ausbruchsversuche um die Hoffnung wachzuhalten. Was hilft mir noch die Hoffnung zu nähren und der Depressivität zu wehren? Nach längerer Zeit habe ich wieder meine Gitarre reaktiviert und das Klavier gestimmt, um Sehnsuchtslieder zu spielen und zu singen. Zusammen singen darf man ja nicht, aber alleine schon. Und wer selbst kein Instrument spielt kann singen, vielleicht sogar im Duett oder Quartett in der Familie, oder er kann Lieder hören. Das Internet bietet ja dazu reichlich Möglichkeiten. Musik drückt die Sehnsucht aus und stillt die Hoffnung.

Hannes Wader etwa singt in seinem Lied „Schon so lang‘“: „Hab‘ die Liebe geseh’n! Schon so lang‘ Seh‘ die Hoffnung, den MutSeh‘ den Glauben die Glut. Und was sich in Gesichtern von Kindern tut Schon so lang‘.“Diese Zeilen bedürfen keiner Auslegung. Das gilt auch für das Lied, das ich mit Ihnen gerne vor der Ansprache gesungen hätte und das ich hier ebenfalls zitiere:„Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt. Dass das Leben nicht verging, soviel Blut auch schreit, achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit. Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt, bleibe uns ein Fingerzeig, dass das Leben siegt.“

Man sollte es nicht nur lesen, sondern am besten singen oder zumindest hören. Musik und Text sind ein Therapeutikum. Bevor ich mit einem Psalmentext ende, lege ich Ihnen noch ein Lied aus Israel ans Herz. Es trägt den Titel „Bashana haba’a“. Ich zitiere:„Nächstes Jahr, du wirst sehn, verbringen wir die Tage ohne Angst, froh und frei vor dem Haus. Kinder spielen um uns her, befreit von Angst und Schrecken, und am Himmel ziehn Vögel dahin.... Was wir sehn, was wir hörn, macht froh und lässt uns leben. Alles Leid ist verweht wie vom Wind.“

Es ist ein Lied, das man ebenfalls unbedingt singen oder anhören muss. Es macht Mut und verbreitet gute Laune. Ich ende mit einem weiteren Lied. Es stammt aus den Psalmen Israels. Es ist mitten in der Passionszeit, die am vergangen Sonntag kirchenjahreszeitlich begonnen hat, in der wir uns aber faktisch schon seit vielen Monaten befinden, ein wunderbarer Text voller Sehnsucht und Zuversicht, eine Hilfe die Passionszeit(en) zu durchstehen und der Zeit der Befreiung entgegenzuharren:„Wenn der Herr die GefangenenZions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein. Da wird man sagen unter den Völkern: Der Herr hat Großes an ihnen getan! Der Herr hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich. Herr, bringe zurück unsere Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst im Südland. Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen guten Samen und kommen mit Freudenund bringen ihre Garben.“

Manfred Sutter