Andacht 

Neuer Gemeinschaftssinn statt Eigeninteressen

Oberkirchenrätin Marianne Wagner. Foto: lk/Linzmeier-Mehn.

Die Skulptur aus Ghana drückt die Kraft der Gemeinschaft aus. Foto: lk/Wagner.

Die Skulptur stammt aus Ghana. Seit vielen Jahren steht sie bei mir zuhause. Ein Geschenk, das mir liebe Menschen dort einmal gemacht haben. Drei geschwungene menschliche Figuren halten eine Kugel in die Höhe. Es scheint anstrengend zu sein, die sechs Arme sind ganz durchgedrückt. Ist es die Erdkugel, die die Menschen da stemmen? Die oikumene, die gesamte bewohnte Welt, die so bedroht ist? Oder steht die Kugel für die oft auch anstrengenden Bemühungen von uns Christenmenschen unterschiedlicher Konfession und Kultur, dem Auftrag Christi nachzukommen, „dass sie alle eins seien“ (Joh 17,21)?

Für unsere Brüder und Schwestern in Ghana kommt durch dieses Kunstwerk auch ganz einfach Alltagserfahrung zum Ausdruck. Wenn man nicht zusammenarbeitet, kommt man nicht weit. Niemand ist zum Beispiel alleine in der Lage, eine Kakaoplantage abzuernten. Viele Hände sind nötig, Maschinen gibt es kaum. In ghanaischen Kirchengemeinden, gerade im ländlichen Raum, kommt es auf jede und jeden an, zum Beispiel damit eine Kirche gebaut werden kann: viele Hände müssen richtig anpacken, die Arbeiter müssen bekocht werden, alle wollen etwas spenden.

Dieses Aufeinander-Angewiesen-Sein spiegelt sich dann auch im Gottesdienst, der von vielen vorbereitet und gefeiert wird. So kenne ich es von einigen Kulturen, die sich bemühen, ihre Gemeinschaftsorientierung zu bewahren.

Auch im High-Tech-Land Südkorea läuft es oft noch so. Ich frage mich, ob es vielleicht auch deshalb den Südkoreanern leichter gefallen ist, die einschneidenden Vorgaben ihrer Regierung zur Eindämmung der Corona-Krise zu befolgen. Uns hier ist es ja an einigen Orten sehr schwergefallen, die Warnungen der staatlichen Stellen ernst zu nehmen und darauf zu verzichten, auszugehen, drinnen oder im Freien zu feiern; wo es doch gerade so schönes Wetter ist und die Mandelbäume blühen.

Vielleicht lernen wir gerade wieder neu, wie entscheidend und lebensnotwendig es sein kann, individuelle Wünsche und Gewohnheiten einmal hintanzustellen, dadurch Anderen zu helfen und einen Beitrag zu leisten für unsere Gesellschaft. Oder: damit unsere Nächsten leben können, nah und fern. In diesen Tagen sprießt so viel gelebte Solidarität, erstaunlicherweise obwohl wir nicht in unseren gewohnten Gruppen zusammenkommen können.

Die Netzwerke gegenseitiger Hilfe, die entstehen, machen mir viel Mut. Ein Beispiel: Pfarrerinnen und Pfarrer beraten sich auf Facebook gegenseitig, wie man den Online-Gottesdienst technisch hinkriegt und wo es Hilfe gibt. Und loben sich dann auch für die Ergebnisse. Das finde ich wunderbar. So kann ein neues Miteinander einstehen. Im Kleinen und dann hoffentlich auch im Großen. Wir können uns entscheiden, ob wir die Probleme unserer Welt gemeinsam stemmen wollen oder uns den Blick vernebeln lassen durch Eigeninteressen oder Profilierungssucht. Das gilt auch für das Miteinander der christlichen Kirchen.

Bitten wir jeden Tag neu Gott um seinen Heiligen Geist, dass er uns durch die krisenhaften Momente trägt und uns inspiriert zu einem neuen und hoffnungsfrohen Miteinander.

 

Gebet

Gott, unser Vater,

wir danken dir für die guten Erfahrungen,

die wir in diesen Tagen machen.

Menschen unterstützen sich, suchen neue Wege,

sich gegenseitig zu ermutigen,

auch wenn sie nicht zusammenkommen können.

Hilf uns, nicht nur das Wohl von uns selbst,

unserer Gemeinde oder Kirche im Blick zu haben,

sondern gemeinsam neue Wege zu finden und sie dann auch zu gehen.

Dir zur Ehre und dem Menschen zum Wohl.

Durch Jesus Christus.

Amen.