Schutzkonzepte 

Mehr Schutz gegen sexualisierte Gewalt

Oberkirchenrätin Bettina Wilhelm und Sozialwissenschaftlerin Ivonne Achtermann im Gespräch. Foto: lk/Landry.

Speyer (lk). Seit Juni wird die Missbrauchsbeauftragte der Landeskirche, Oberkirchenrätin Bettina Wilhelm, unterstützt: Die Sozialwissenschaftlerin Ivonne Achtermann bringt das Thema Schutzkonzepte in die Fläche. Sie übernimmt unter anderem das Projektmanagement für die Weiterbildungen, die im Dezember 2020 für 20 Hauptamtliche der Landeskirche in digitaler Form begonnen haben. Sie dauern noch bis Oktober dieses Jahres. Als eine der ersten Aufgaben konnte Achtermann gemeinsam mit Wilhelm mehrtätige Schulungen anbieten, online und in Präsenz. Sie bereiten sogenannte Multiplikatorinnen und Multiplikatoren auf einen Einsatz und die Beratung in Kitas, Jugendzentralen oder Kirchengemeinden vor. Jeweils im Zweierteam werden sie den Einrichtungen bei der Konzeptentwicklung helfen.

„Daneben bin ich aber auch Ansprechpartnerin für Menschen, die sexuelle Gewalt erfahren haben oder davon betroffen sind“, sagt Achtermann. Seit Jahren beschäftigt sich die Vorsitzende des Fördervereins „Frauen und Kinder in Not e.V.“ mit häuslicher Gewalt, war zuvor als Netzwerkerin im Jugendamt und in der Schulsozialarbeit tätig, und weiß: „Jede vierte Frau oder jedes vierte Mädchen ist von sexualisierter Gewalt betroffen“. Das ist sehr gegenwärtig. In der Schulung gab es viel Unsicherheit, wie man das Thema in den jeweiligen Einrichtungen der Landeskirche umsetzen kann“.

Achtermanns Antwort darauf: „Jede Institution braucht eine eigene Anpassung an das Thema. Jede evangelische Kita beispielsweise braucht ein eigenes Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt“. Denn eine Kita entwickele sich kontinuierlich: Neues Personal, neue Eltern kommen. Pädagogische Konzepte verändern sich. „Ein Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt ist demnach nie fertig“, so Achtermann.

Trotz der Unterstützung durch Achtermann bleibt Wilhelm die Missbrauchsbeauftragte der Evangelischen Kirche der Pfalz. „Das Thema ist organisatorisch in der Kirchenleitung angesiedelt. Daran erkennt man, welche große Bedeutung das Thema in unserer Kirche hat“, sagt Wilhelm. Dieses Thema ist nicht neu: Seit elf Jahren beschäftigt sich Wilhelm mit dem Thema sexualisierte Gewalt. Im November 2019 hat die pfälzische Landessynode das Gesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt verabschiedet. „Die Bausteine des Gesetzes setzen wir nun nach und nach um“, sagt die Oberkirchenrätin.

Zuerst beginnen die Schutzmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen: „Wir fangen dort an, wo die meisten jungen Menschen uns anvertraut werden: in Kitas, Jugendzentralen, bei Freizeiten, in der Konfi-Zeit. Danach folgt die Entwicklung von Schutzkonzepten im Erwachsenenumfeld, etwa in Presbyterien, bei Musikgruppen und Chören bis hin zu Konzepten gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, erklärt Bettina Wilhelm.

Als Schlüsselfaktor sieht die Oberkirchenrätin auch die Ressourcen, die die Synode beim Beschluss zur Umsetzung des Schutzkonzeptes zugesagt hat: „Jede Kirchengemeinde und jede Einrichtung bekommt zwei volle Tage, um mit der Entwicklung eines einrichtungsspezifischen Schutzkonzeptes beginnen zu können“, so Wilhelm. Die aktuell geschulten Multiplikatorinnen und Multiplikatoren beraten dann vor Ort auf Basis des Schulungskonzepts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Diakonie „Hinschauen – Helfen – Handeln“. Dabei gilt: Alle Personen, die in der Kirchengemeinde ehrenamtlich oder hauptamtlich tätig sind, müssen einbezogen werden: Köchinnen, Hausmeister, Pfarrerinnen und Pfarrer, Stimmbildnerinnen, pädagogische Fachkräfte oder Freiwillige, die Fahr- oder Kirchendienerdienste übernehmen.

„Wir sind als Menschen, als Institution und als Gesellschaft in einem Prozess, um zu lernen, mit sexualisierter Gewalt umzugehen. Es wird Widerstände geben, manchen Menschen ist das Thema zu nah. Doch es reicht nicht, nur zu sagen ‚Das kann nicht sein, das darf nicht sein‘“, so Wilhelm. Vorstellung von Sexualität und der Umgang mit sexualisierter Gewalt seien eine Frage von Haltung, mit denen sich Teams auseinandersetzen müssten. Die Einstellungen dazu reichen von freizügig bis verschämt. Die Landeskirche will die Menschen „kultursensibel“ schulen. Die Teams in Kirchengemeinden, Einrichtungen und Gruppen müssten einen gemeinsamen Nenner finden.

Denn eins stellt Wilhelm klar: „Menschen sind fehlbar und können unter Umständen zu Tätern werden. In der Kirche arbeiten Menschen – und zwar keine besseren Menschen als anderswo“, sagt die Missbrauchsbeauftragte. „Ich bin heilfroh, dass Frau Achtermann uns in dem Prozess unterstützt. Denn jeder Fall ist individuell und verlangt von uns 100 Prozent Aufmerksamkeit“. Jeder Fall solle gemeldet werden. Interne Ansprechpartnerinnen, eine unabhängige Kommission und externe Kontaktpersonen stehen dazu zur Verfügung (siehe Link).