Andacht 

Kraftquelle in der Krise

Pfarrer Andreas Rummel.

„Ich hab’ mein Ladekabel zuhause vergessen“, lamentiert unser Sohn. Der Super-GAU: Ein Wochenende ohne Handy. Diese Aussicht stürzt ihn wie viele Jugendliche in tiefe Verzweiflung.

Wir modernen Menschen sind von stetiger Energiezufuhr abhängig. Das wird uns erst bewusst, wenn wir davon abgeschnitten sind. Stromausfall, fehlende Ladestationen an der Autobahn – oder eben ein vergessenes Ladekabel.

Schnell geht dann gleich gar nichts mehr. Heizung, Licht, Küchenherd, Telefon, Computer, Auto, Eisenbahn – alles steht still. Ohne Energie gibt es keine Behaglichkeit, kein warmes Essen, keine Kommunikation und keine Mobilität. Das ist für ein paar Stunden zu verkraften. Aber dann werden wir kribbelig. Und wenn die Notstromaggregate im Krankenhaus nicht anspringen, dann wird es sogar lebensgefährlich. Wie zuletzt in Venezuela.

Weil wir das wissen, treffen wir Vorsorge. Kritische Infrastrukturen müssen auch im Notfall wie der Corona-Krise funktionieren. Wenn wir Hunger haben, kümmern wir uns um Essen. Wenn der Tankinhalt zur Neige geht, um eine Tankstelle. Wenn der Akku leer ist, um eine Ladestation. Meist nehmen wir die Warnsignale rechtzeitig wahr. Dann kommt es nicht zum Äußersten.

Für unseren „Glaubensakku“ gibt es leider keine Ladestandsanzeige, die uns vor dem Herunterfahren der Systeme warnt. Dabei gilt für unser geistliches Leben das Gleiche. Wenn wir spirituell nicht aufladen, dann laufen wir leer. Jesus benutzt dazu ein Bild, das uns in der Pfalz geläufig ist. Wer die Weinstraße entlangfährt, der blickt über ein Rebenmeer. Die Weinstöcke in den Weinbergen reihen sich aneinander soweit das Auge reicht.

„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“, sagt Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern. Damit stellt er eine organische Verbindung zwischen sich und seinen Nachfolgern her. „Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt“, folgert er daraus.

Abgeschnitten vom Weinstock muss die Rebe vertrocknen. Wie ein Akku ohne Ladekabel. Die mit dem Weinstock verwurzelten Reben bekommen Kraft und Saft, können wachsen und gedeihen. Sie bringen viel Frucht. Nicht aus sich, sondern aus der Energie des Weinstocks und durch die Pflege des Weingärtners. Er putzt die Reben aus, damit sie Licht und Luft bekommen. So können sie noch mehr Früchte tragen.

An und in Jesus bleiben, seine Worte verinnerlichen und mich der Pflege Gottes überlassen. Mehr braucht es nicht, damit mein „Glaubensakku“ wieder vollgeladen ist. Die Verwurzelung im Glauben ist lebensnotwendig. So verstehe ich das Gleichnis Jesu.

Kurze Impulse laden den Glaubensakku auf

Aber wie geht das im Alltag? Wo sind die Tankstellen? Welche „Ladekabel“ braucht mein Glaube? Habe ich das neueste Update installiert? Wenn ich mich doch nur so gründlich darum kümmern würde wie bei meinen technischen Geräten. Da muss ich noch viel lernen. Vielleicht auch mal wieder gründlich in mein Benutzerhandbuch schauen: die Bibel. Aber eigentlich ist alles ganz einfach: Rituale helfen mir dabei. Ein Morgengebet, ein Tischgebet, ein Abendgebet. Wenn ich als Kind keines davon gelernt habe, dann reicht ein Blick in den Anhang unseres Gesangbuches oder ins Internet.

Die Losungen sind ein kurzer Kick in den Tag. Die gibt es sogar als App für mein Mobiltelefon. Ein Bibelleseplan hilft mir, regelmäßig Gottes Wort in mich aufzunehmen. Die Bibel kann ich mir auch auf mein Smartphone laden. Der Arbeitsweg mit der S-Bahn wird dann zur Bibelstunde.

Zuletzt habe ich ein tolles Programm der hannoverschen Landeskirche entdeckt: XRCS. Geistliche Übungen im Alltag auf meinem Mobiltelefon. Das hat mich neugierig gemacht. Dreimal fünf Minuten Achtsamkeit am Tag. Oder drei Impulse zum Nachdenken über den Tag verteilt. Und in der Fastenzeit gab es sieben Wochen täglich eine Frage mit einem biblischen Bezug am Abend. Kostet außer ein paar Minuten heilsamer Unterbrechung am Tag nichts und bringt mich auf andere Gedanken.

Alles digitale Helferlein, die aber die echte Kommunikation des Evangeliums nicht ersetzen können. Ich denke etwa an das Singen alter und neuer geistlicher Lieder im Chor. Übrigens die schönste Stunde für mich in der ganzen Woche. Und natürlich der Gottesdienst, bei dem ich Auftanken kann. Überhaupt, die Gemeinschaft mit anderen Menschen im Glauben ist wichtig, um nicht leerzulaufen. Da kann ich Zweifel und Zuversicht teilen. Das stärkt mir den Rücken.

Aber zurück zu unserem Sohn: Zum Glück ist mein Ladekabel mit allen Geräten in der Familie kompatibel. So musste er dann doch das Wochenende nicht offline verbringen. Aber hoffentlich gelingt es mir auch, den Kindern beizubringen, wie sie ihren geistlichen Akku wieder aufladen können.

Da vertraue ich ganz auf Jesus, den Weinstock, wenn er sagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun“. Ich kann das spirituelle Auftanken nur vorleben und damit den Samen legen für ein eigenes geistliches Wachstum.

Und das ist es, was wir in der Corona-Krise am meisten brauchen: die Kraft des Glaubens, um durchzuhalten und andere zu stärken.

Amen.

Andreas Rummel