Kirchenpräsidentin hält Laudatio 

Joachim Gauck geehrt

Dorothee Wüst, Neustadts Oberbürgermeister Marc Weigel, Joachim Gauck und der rheinland-pfälzische Innenmister Roger Lewentz (von links). Foto: lk/Mehn

Neustadt, Speyer (lk). Joachim Gauck hat den „Hambacher Freiheitspreis 1832“ am Sonntag, 29. Mai 2022 im Rahmen des Demokratiefestes erhalten, das an dem Wochenende auf dem Hambacher Schloss in Neustadt gefeiert wurde. Es stand unter dem Motto "Mut zur Freiheit". Mit der Auszeichnung wurde erstmals eine Persönlichkeit geehrt, die sich bundesweit für die Demokratie verdient gemacht hat und den Mut zur Freiheit lebt. "Wir hätten kaum einen würdigeren Kandidaten finden können", sagte Dorothee Wüst, Präsidentin der Evangelischen Kirche der Pfalz, in ihrer Laudatio. Gauck selbst und seine Lebensleistung seien untrennbar mit Begriffen Freiheit und Demokratie verbunden.

Wüst machte deutlich, dass die Werte Freiheit und Demokratie zerbrechlich und nicht selbstverständlich sind. "Gerade in den letzten Jahren erleben wir Polarisierung, Radikalisierung, Entsolidarisierung, Schwarz-Weiß-Denken, Geschichtsklitterung." Der Ton werde rauer und empörter. Die Kirchenpräsidentin sieht die Vernunft auf dem Rückzug. Wenn Demokratie und Freiheit in Gefahr geraten, sei es nötig, aufmerksam und wachsam zu sein, sich einzumischen und einzugreifen – also zu intervenieren. "Heute ehren wir einen Meister der Intervention", betonte sie. 

"Leidenschaft für gelingende Gemeinschaft"

Als Basis für Gaucks Handeln erkennt Dorothee Wüst die Liebe zu den Menschen. Diese Menschenliebe ertrage keinen Hass und keine Intoleranz, weil das Gemeinschaft zerstöre. Sie orientiere sich an den Schwachen, weil diese eine starke Stimme bräuchten. Diese Menschenliebe setze Freiheit nie absolut, sondern kenne die Verantwortung, die zur Freiheit gehöre. Mit seiner Leidenschaft für gelingende Gemeinschaft erreiche Joachim Gauck die Herzen der Menschen, meinte Dorothee Wüst.

Gauck habe sich stets eingemischt – als Bürgerrechtler in der DDR, als Bundespräsident, als Leiter der Stasiunterlagen-Behörde und bei all seinen anderen Tätigkeiten: "Ein klares "Nein", wo es gilt, Menschen zu schützen, und dennoch ein unermüdliches "Ja" zum Streit um die Wahrheit." Die Kirchenpräsidentin bescheinigte Gauck "mit klugem Mut, aufrichtiger Empathie und einem Gespür für das rechte Wort zur rechten Zeit zu intervenieren, wo es nötig ist, und Brücken zu bauen, wo es möglich ist".

Gleichzeitig Abgrenzung und Mut zum Gespräch

Dorothee Wüst blickte zurück auf Gaucks Besuch 2018 in der Pfalz: Anlässlich des 200. Jubiläums der Kirchenunion mahnte er bereits, Demokratie und Freiheit zu verteidigen. "Angesichts der rechtsextremistischen Ausschreitungen in Chemnitz sprachen Sie von notwendiger Abgrenzung gegenüber den vom Hass Verblendeten und vom gleichzeitig erforderlichen Mut, über die Gräben der Gesellschaft hinweg immer wieder geduldig das Gespräch zu suchen mit denen, die noch gesprächsfähig sind", erinnerte die Kirchenpräsidentin am Sonntag.

In seiner Festrede vor vier Jahren rief der Alt-Bundespräsident ins Gedächtnis, dass die Kirchenunion 1818 von den Gläubigen an der Basis ausging: Die bis dahin getrennten reformierten und lutherischen Gemeinden der Pfalz schlossen sich zu einer gemeinsamen Kirche zusammen - weil die Gemeinden dies wollten. Deshalb bezeichnete Gauck die Kirchenunion als einen Baustein der deutschen Demokratiegeschichte, denn sie habe eine Basiskirche geschaffen. Er knüpfte an die Botschaft der Unionsurkunde an: mutig der Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen. Dies sei heute so aktuell wie damals.

"Freiheit ist nicht umsonst zu haben"

Joachim Gauck bedankte sich für den Hambacher Freiheitspreis, der für ihn zugleich Anerkennung und Ansporn darstellt. In seiner Rede bezog er sich auf das Hambacher Fest. Damals wie heute "brauchen wir Mut, Haltung und Engagement", die freiheitlichen Werte zu verteidigen.

Er verurteilte Putins Krieg. Der Angriff ziele nicht nur auf die Ukraine, sondern richte sich gegen die liberale Demokratie und die Selbstbestimmung der Völker. Gauck forderte Unterstützung für die Ukraine, um ihre Freiheit und Eigenständigkeit zu erhalten – und damit den Frieden in Europa. Anderenfalls sieht er die Stabilität Europas ernsthaft in Gefahr. Wie im Jahr 1832 gelte: "Wir müssen uns verbünden, wenn uns Freiheit und Demokratie am Herzen liegen. Freiheit ist nicht umsonst zu haben."

Diese Werte müssten auch im Innern entschlossen verteidigt werden gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Verachtung für den freiheitlichen Lebensstil. Aber Gauck sieht die Demokratie nicht ernsthaft infrage gestellt, da die große Mehrheit weder dem Hass noch den populistischen Verführern folge. "Unsere Demokratie ist von sich aus stark. Sie muss allerdings ihre Wehrhaftigkeit und ihre Effektivität neu unter Beweis stellen." Als treibende Kraft dabei sieht er Bürgerinnen und Bürger. Nur in einer Demokratie könnten Menschen frei von Zwang eigenverantwortlich ihre Gesellschaft und ihr Miteinander gestalten.

Zur Person: Joachim Gauck

Der Theologe Joachim Gauck gehörte zu den führenden Köpfen der Bürgerrechtsbewegung in der DDR. Nach der Wiedervereinigung leitete er die Behörde, die die Stasi-Akten aufarbeitete – im Volksmund "Gauck-Behörde" genannt. Von 2012 bis 2017 war Gauck Bundespräsident und zuvor unter anderem in der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Wien tätig. Er war Bundesvorsitzender der Vereinigung "Gegen Vergessen – Für Demokratie", dessen Ehrenvorsitzender er seit 2017 ist.