"Im Kern ist der Glaube eine Entdeckung"
Speyer (lk). „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ Diese Bibelstelle aus dem 2. Timotheusbrief (1,7) liegt dem pfälzischen Kirchenpräsidenten Christian Schad besonders am Herzen. „Sie ermutigt mich, die gegenwärtigen Herausforderungen, vor denen Kirche und Gesellschaft stehen, nüchtern anzuerkennen und gleichzeitig eine Perspektive zu entwickeln, in der Hoffnung und Gestaltungswillen spürbar werden.“ Daraus leite sich auch seine Vision von Kirche ab: „Dem Evangelium treu, den Menschen nah, der Zukunft zugewandt. Dass wir uns einfühlen in die Not der Menschen – und nicht gleich urteilen; dass wir den Mut haben, unsere eigene Verletzlichkeit zu zeigen, und die Unterstützung durch andere annehmen; dass wir für die Sache des Evangeliums brennen, aber daran nicht verbrennen; dass unsere Gemeinden die Kraft haben, über ihre eigenen Belange hinauszusehen – und sie sich als Teil der einen, weltweiten Christenheit verstehen; dass wir in der Kirche eine Liebe zur Welt entwickeln, die Gottes gute Schöpfung ist.“
Schad wird am 14. Februar 60 Jahre alt. Seit 2008 ist er Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche der Pfalz. In seinem Amt tritt er für einen Protestantismus mit kultureller, sozialer und gesellschaftspolitischer Prägekraft ein und steht – auch mit Blick auf die weltweite Ökumene – für eine Kultur gegenseitiger Achtung und Anerkennung. Die Sprache der Kirche müsse „klar, mitfühlend und wahrhaftig“ sein, sagt Schad. Kirche sei deshalb auch ein Ort des entschiedenen Widerspruchs „angesichts einer gesellschaftlichen Stimmung, die entwürdigt, ausgrenzt und verletzt: ganze Volksgruppen, Religionsgemeinschaften, Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund. Kirche widerspricht Haltungen, die Fremdenfeindlichkeit schüren und weist jedweden Rassismus zurück.“
Indem sie sich konkret in Bezug zu gesellschaftlichen Entwicklungen setze, sei Kirche immer auch politisch. „Natürlich darf sich die Verkündigung nicht mit einer Partei identifizieren oder sich anmaßen, eindeutig die einzig richtige politische Auffassung zu vertreten. Aber Christen glauben an die Nächstenliebe, daher müssen wir Hassbotschaften kritisieren. Wir glauben an die gleiche Würde aller Menschen als Geschöpfe Gottes. Deswegen schweigen wir nicht, wenn Einzelne oder ganze Menschengruppen verächtlich gemacht werden. Wir glauben an die Natur als Gottes Schöpfung, deswegen setzen wir uns für die Bewahrung der Schöpfung ein und kritisieren eine Politik, die den Erhalt der Natur für kommende Generationen nicht genügend im Blick hat. Wer in Gott eintaucht, taucht neben den Armen und Schutzbedürftigen auf. Christlicher Glaube ist hoffender ‚Glaube, der durch die Liebe tätig ist‘ (Galater 5,6). Jedem Versuch, die anwaltschaftliche Stimme von Kirche und Diakonie aus dem politischen Raum zu verdrängen, treten wir darum klar entgegen.“
Die Überzeugung, dass der Glaube „Hilfe zum Leben“ ist, hat Schad als jungen Menschen bewogen, Theologie zu studieren. Auf die Frage, welche Person der Kirchengeschichte ihm besonders wichtig sei, antwortet er: Martin Luther. Dessen Theologie „ergreift einen in Bezug auf das eigene Leben in einer Sprache, die ins Innerste trifft. Die Gottesbeziehung bewährt sich für Luther gerade in der Situation existenzieller Anfechtung: ob ich dem ausgeliefert bin, was mich sprachlos macht, oder ob ich mich noch im Verstummen an ein Wort halten kann, das mir Trost und Leben verheißt“. „Im Kern“, so der Kirchenpräsident, „ist der Glaube eine Entdeckung, nämlich die Gewissheit, unendlich bejaht zu sein.“ Daraus schöpfe er auch Kraft für das Amt, das ihm aufgrund der vielen damit verbundenen Verpflichtungen zwar wenig freie Zeit lasse, aber das er aus vollem Herzen ausübe.
Ein besonderer Ort, an dem er persönlich immer wieder Orientierung finde, sei für ihn die Nikolaikirche in Leipzig, Ausgangspunkt der „friedlichen Revolution“ in der ehemaligen DDR. „Hier“, so der Kirchenpräsident, „wagten es Menschen, die Wahrheit des Evangeliums so zu bezeugen, dass ihre befreiende Kraft auch sehr weltlich, sehr politisch, erfahrbar wurde. Wer niederkniet vor Gott, dessen Kraft in den Schwachen mächtig ist, wird aufgerichtet und dazu befreit, vor keiner irdischen Macht mehr in die Knie zu gehen. Dass Kirche je und je neu zum Ort befreiender Wahrheit wird, diese Verheißung verbindet sich für mich beispielhaft mit den Friedensgebeten, die in der Nikolaikirche nach wie vor regelmäßig stattfinden.“ Ruhepole seien für ihn persönlich der Besuch von Konzerten, das Lesen und Wandern, sagt Schad, der mit der Landauer Stiftskirchenpfarrerin Gerlinde Wnuck-Schad verheiratet ist. Mit ihr hat er sich auch seine erste Pfarrstelle im südpfälzischen Weingarten geteilt.
Kirche als „Verantwortungsgemeinschaft zur Weitergabe und zur Erneuerung des Glaubens“ – nach Schads Überzeugung kann es Glauben ohne Kirche nicht geben. „Dass wir Menschen nachbarschaftlich begleiten, Kinder und Erwachsene taufen, Jugendlichen Orientierung geben, Einsame und Kranke besuchen, unsere Toten beerdigen und allen die Auferweckung des Gekreuzigten als ein Wort ewigen, erfüllten Lebens weitersagen, diese elementaren Vorgänge sind es, die unserer Kirche ihr Gesicht geben.“ Entsprechend versteht Christian Schad die Kirche auch „als Ort des geteilten Mutes und des geteilten Zweifels; ein Raum, in dem Menschen mit neuen Augen angesehen werden“. „Hier“, so der Kirchenpräsident, „soll ihnen jene Würde zugestanden sein, die Jesus den Menschen zusprach: die Würde eines von Gott geliebten Geschöpfes.“