Interview: Pfarrerin Annegret Henning ist in der Pfalz für Polizei- und Notfallseelsorge zuständig 

„Ich werbe für eine gesunde Selbstfürsorge“

Pfarrerin Annegret Henning ist in der pfälzischen Landeskirche für Polizei- und Notfallseelsorge zuständig. Foto: privat

Speyer (lk). „Mittendrin und trotzdem unabhängig“ – so beschreibt die Pfarrerin für Polizei- und Notfallseelsorge, Annegret Henning, die Aufgaben, die sie für die Evangelische Kirche der Pfalz wahrnimmt. Die 45-Jährige leitet seit Dezember das neu geschaffene Pfarramt.

Im Bereich der Polizeiseelsorge begleitet sie die Polizeibeamten in allen Dienst- und Lebenslagen, während ihr in der Notfallseelsorge vor allem koordinierende Aufgaben zukommen. Mit der Wahrnehmung von Polizei- und Notfallseelsorge habe sie also „zwei Hüte auf“, meint die gebürtige Ludwigshafenerin, die vorher zwölf Jahre Evangelische Oberpfarrerin bei der Bundespolizei in St. Augustin bei Bonn war. Henning freut sich auf die Zusammenarbeit mit ihrem katholischen Kollegen im Bereich der Polizeiseelsorge: Der ökumenische Einführungsgottesdienst für Pfarrerin Annegret Henning und Gemeindereferent Patrick Stöbener findet am 13. Januar 2016 um
15 Uhr im Gemeindezentrum Pilgerpfad in Frankenthal statt.

Seelsorge im Berufsalltag von Menschen – das bedeute, sie in einem ganz anderen als dem kirchlichen Zusammenhang kennenzulernen und ernst zu nehmen. Als Polizeiseelsorgerin verstehe sie sich im Gefüge der Organisation Polizei als unabhängige Ansprechpartnerin, sagt die Theologin. Konkret bedeute das, für die Beamten mit ihren Ängsten und Nöten da zu sein, ihren Alltag mit ihnen zu teilen, in Konfliktfällen zu vermitteln oder ihnen durch seelsorgerliche Beratung Denkanstöße zu geben. „Ich werbe für eine gesunde Selbstfürsorge. Das ist gutes seelisches Rüstzeug in einer Zeit, in der der Beruf des Polizisten – etwa mit Blick auf die Flüchtlingssituation – immer fordernder wird.“

In der Notfallseelsorge möchte sie kirchliche Aus- und Fortbildungsangebote für Ehrenamtliche aufbauen, die Vernetzung mit anderen Hilfsorganisationen vorantreiben. Zu ihrer Arbeit gehöre es auch, Bereitschaftsdienste zu übernehmen: „Das heißt, zusammen mit der Polizei Todesnachrichten überbringen, an Unfallorte eilen, Angehörigen nach einem Suizid beistehen.“ Zunächst werde sie jedoch alle Dekanate besuchen, um sich „ein umfassendes Bild“ zu verschaffen. In der Landeskirche gibt es 16 Notfallseelsorgesysteme, die teilweise in ökumenischer Verbundenheit Dienst tun. Notfallseelsorger könnten ihren Dienst nicht nur als zusätzliche Belastung, sondern auch als Bereicherung empfinden. Notfallseelsorge sei ein Samariterdienst für die Seele.

Hinweis: Ökumenischer Einführungsgottesdienst für Pfarrerin Annegret Henning und Gemeindereferent Patrick Stöbener als Polizeiseelsorger am 13. Januar 2016 um 15 Uhr im Gemeindezentrum Pilgerpfad in Frankenthal.

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Frau Henning, was genau kommt auf Sie als Polizei- und Notfallseelsorgerin zu?

Das Pfarramt für Polizei- und Notfallseelsorge ist in dieser Form neu geschaffen worden. Zuvor gab es einen Dienstleistungsauftrag für die Polizeiseelsorge. Die Koordination der Notfallseelsorge wurde nebenamtlich betrieben. Ich habe im neuen Pfarramt also zwei Hüte auf. Im Bereich der Polizeiseelsorge begleite ich Polizeibeamtinnen und –beamte in allen Dienst- und Lebenslagen. Dazu zählen Einsatzbegleitung, Besuche auf den Dienststellen, Tagungen, Teamtrainings, Betreuung nach besonders belastenden Ereignissen, aber auch Gottesdienste und Amtshandlungen wie Taufen, Trauungen und Beerdigungen. In der Notfallseelsorge kommen mir persönlich vor allem koordinierende Aufgaben zu. Dazu gehören der Aufbau einer Ausbildung für ehrenamtliche Notfallseelsorgende genauso wie die Durchführung von Fortbildungen, die Vernetzung mit anderen Hilfsorganisationen, Rettungsdiensten und der Feuerwehr sowie die Qualitätssicherung der Notfallseelsorge in den Dekanaten. Aber natürlich werde ich in einem bestimmten Rahmen auch Bereitschaftsdienste übernehmen. Das bedeutet, zusammen mit der Polizei Todesnachrichten zu überbringen, an Unfallorte zu eilen, oder Angehörigen nach einem Suizid beizustehen.

Was unterscheidet Polizeiseelsorge von „normaler“ Seelsorge?

Ich war über zwölf Jahre Seelsorgerin in und für die Bundespolizei. Seelsorge im Berufsalltag von Menschen bedeutet, sie in einem ganz anderen als dem kirchlichen Kontext kennenzulernen und ernst zu nehmen. In der klassischen Kirchengemeinde kommen die Gemeindeglieder zu Pfarrer oder Pfarrerin. Hier ist es umgekehrt. Ich stelle mich in den Kontext polizeilicher Wirklichkeit, ohne in ihr aufzugehen. Oder etwas weniger abgehoben ausgedrückt: Ich arbeite im Bereich der Polizei und bin für Polizistinnen und Polizisten da, ohne selbst Polizistin zu sein. Ich bin also mittendrin und trotzdem unabhängig. Daher kann ich in Konflikten als neutrale Person vermitteln. Außerdem kann ich sehr konkret für die Beamten und Beamtinnen mit ihren Ängsten und Nöten da sein und andererseits ihren Alltag und ihre Freude mit ihnen teilen oder ihnen durch seelsorgerliche Beratung und bei Tagungen Denkanstöße geben, die den einen oder anderen Entwicklungsprozess auslösen können. Bei dieser Arbeit ist es hilfreich, sehr geerdet zu sein. Wir sind für alle Beamten und Beamtinnen da, ohne nach der Kirchenzugehörigkeit zu fragen. Das Christliche der Arbeit wird dabei durch unsere Haltung den Menschen gegenüber erfahrbar. Ich werde dadurch sehr deutlich als Vertreterin der Kirche wahrgenommen, ohne Menschen abzuschrecken, die der Kirche distanziert gegenüber stehen.

Pfarrerinnen sind in diesem Bereich eher die Seltenheit. Fühlen Sie sich als Polizeiseelsorgerin akzeptiert? Oder umgekehrt: sind Polizistinnen froh, einer Pfarrerin gegenüber zu stehen?

Ich habe mich in den Jahren als Polizeiseelsorgerin nicht nur als Frau akzeptiert, sondern auch in hohem Maße wert geschätzt gefühlt. Es hat sich als hilfreich erwiesen, wenn die Polizistinnen und Polizisten die Möglichkeit haben, zu einer Frau oder einem Mann, einem katholischen oder evangelischen Kollegen zu kommen. Gerade bei vielen Männern ist mir aufgefallen, dass sie oft lieber mit einer Frau reden, als mit einem Mann. Viele Männer haben einen besten Freund und eine beste Freundin. Mit dem Freund unternehmen sie etwas, machen Sport, gehen mal zusammen ein Bier trinken. Mit der besten Freundin reden sie über Dinge, über die sie mit einem anderen Mann niemals sprechen würden. Insofern habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich auch viele Männer gern einer Frau anvertrauen, gerade auch wenn es um Beziehungsprobleme oder ähnliches geht.

Notfallseelsorge und Polizeiseelsorge sind relativ umfangreiche Arbeitsbereiche. Wo setzen Sie jeweils Schwerpunkte?

Zunächst habe ich das Glück, dass auch der katholische Gemeindereferent für beide Bereiche, Patrick Stöbener, seit September neu im Amt ist und wir eine intensive ökumenische Zusammenarbeit in beiden Bereichen andenken und in Anfängen auch schon leben. Was die Notfallseelsorge betrifft, werde ich zunächst alle Dekanate besuchen, um mir ein umfassendes Bild über den aktuellen Stand zu verschaffen. In einigen Bereichen läuft Notfallseelsorge sehr gut. In anderen steckt sie in den Kinderschuhen. Dabei ist es mir ganz wichtig auch Angebote für die Notfallseelsorgenden zu schaffen, so dass sie ihren Dienst nicht als zusätzliche Belastung, sondern auch als Bereicherung empfinden. Schließlich haben Notfallseelsorgende die Aufgabe, Menschen in unvorhergesehenen Krisen beizustehen und damit einen Samariterdienst für die Seele zu leisten. Außerdem wird ein Schwerpunkt ein Ausbildungskonzept für ehrenamtliche Notfallseelsorgende sein, die keine Pfarrer und Pfarrerinnen sind.

In meiner Arbeit als Polizeiseelsorgerin möchte ich auf Bewährtes aufbauen und darüber hinaus eigene Akzente setzen. Gerne möchte ich Polizisten und Polizistinnen dazu motivieren, durch Achtsamkeitstraining feinfühlig zu werden für die erfreulichen und wesentlichen Dinge im Alltag. Zugleich werbe ich damit für eine gesunde Selbstfürsorge. Das ist gutes seelisches Rüstzeug in einer Zeit, in der der Beruf des Polizisten, der Polizistin immer fordernder wird, z.B. mit Blick auf die Flüchtlingssituation.

Sie sind verheiratet und haben zwei Kinder – wie lässt sich das zeitaufwändige Amt mit dem Privatleben vereinbaren?

Da helfen ein gutes Zeitmanagement, die Fähigkeit, sich verlässliche Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu suchen, Achtsamkeit für sich selbst und die Fähigkeit, auch mal freundlich „Nein“ sagen zu können.

Die Fragen stellte Christine Keßler-Papin