Andacht 

Held ohne Steuerrad

Pfarrer Stefan Mendling. Foto: lk/privat.

Wusstet ihr, dass die Arche von Noah kein Steuerrad hatte? Ich habe mir die Bauanleitung nochmal genau angesehen: Es gibt eine Tür, ein Fenster, drei Stockwerke, viel Holz, mit Pech verpicht innen und außen. Noah hat an alles gedacht – nur das Steuer fehlt!

Noah hätte ohnehin nicht gewusst, wohin er den Kasten steuern soll. Er kennt das Ziel nicht! Er dreht mit der Arche seine Runden, er lässt sich treiben, er fährt spazieren … der Held aus dem Alten Testament. Es kommt ihm vor wie eine Endlosschleife aus Warten, Zuhause bleiben, Warten … Wahrscheinlich hätte er gerne mal das Steuerrad herumgerissen.Doch es gibt ja keins … und ich kann mittlerweile richtig mit Noah mitfühlen:

Denn er sitzt wochenlang in einem großen Schiff, weil die Welt überschwemmt ist. Zusammengepfercht mit seiner Familie und allen möglichen Tieren … Er denkt, eigentlich müsse er die Welt retten – er sei der Macher, der Gamechanger, der entscheidende Mann, wenn‘s drauf ankommt, ob die Welt den Bach runtergeht. Der Bruce Willis in der Bibel!

Dann, Wochen später, auf dem Schiff gefangen, denkt er sich: Mist, ich kann hier gar nichts machen! Lagerkoller, Langeweile, kein Bock mehr. Ich kann nicht raus. Ich sitze fest. Wie in einer Endlosschleife. Und das Schlimmste für ihn: Er weiß nicht, wie lange es noch dauert, und wie es dann weitergeht. Und: Wie wird die Welt danach aussehen?

Warten ist das Einzige, was geht, warten und fest dran glauben: alles wird gut. Sehen so Helden aus?Ja! Genau so sehen Helden aus!

Noah wird zu einem dieser Helden, die es heute auch noch gibt: Wartende Helden, die nichts tun können, außer zu glauben … Diese Heldinnen und Helden glauben an das Gute – und bewirken damit am meisten.

Der Held ist nämlich der, der damit klarkommt, dass er gerade nichts machen kann. Der Held, die Heldin ist die, die die Ungewissheit aushält und durchhält, und mit jedem Tag fester dran glaubt: Alles wird gut!

Das fällt Noah natürlich schwer, nichts tun zu können – außer zu glauben. Noah braucht sage und schreibe hundertfünfzig Tage, bis sich bei ihm wieder Hoffnung regt: Weil Noah wieder vorsichtig zu hoffen beginnt, dass alles gut wird, schickt er Vögel los. Noah braucht hundertfünfzig Tage, um zu verstehen: Sein Glaube ist nicht eingesperrt in diesem Kasten. Sein Glaube hat Flügel. Er kann fliegen. Sein Glaube ist frei – und bringt ihm bald einen Olivenzweig. Dieser Zweig sagt Noah: Alles wird gut!

Und dieser Zweig ist für Noah der Beginn der neuen Welt, der Welt nach der Sintflut – einer Welt, in der Gott seinen Regenbogen in den Himmel setzt als Versprechen: Alles bleibt gut! Wenn Noah das gewusst hätte!

Und das mit dem fehlenden Steuerrad war wohl pure Absicht! Wenn die Arche eins gehabt hätte, Noah würde sie wahrscheinlich jetzt noch über die Weltmeere steuern und sich fragen: Wo geht’s hier raus, raus aus der Krise? Erst das fehlende Lenkrad hat ihn zu dem Helden gemacht, der er ist: einer, der heldenhaft wartet, glauben lernt und Ausschau hält.

Stefan Mendling