Flüchtlinge 

"Erinnerungsfetzen, die wie eingebrannt wirken"

Viele Flüchtlinge leiden unter Traumata. Foto: Caritasverband für die Diözese Speyer

Speyer (cv). Das Caritaszentrum Speyer hat in Zusammenarbeit mit der Katholischen Erwachsenenbildung einen Fortbildungsabend für Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit veranstaltet. Heiner Seidlitz, Psychologe, evangelischer Theologe und ehemals Leiter der Telefonseelsorge Pfalz, hat vor rund 30 Teilnehmern über den Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen referiert.

„Nicht alle bei uns angekommenen Flüchtlinge sind traumatisiert, aber die meisten leiden unter schwerer Trauer, denn sie mussten verlassen, was ihnen lieb und lebenswichtig war“, erklärte Seidlitz. „Auch ohne Trauma fällt es ihnen schwer, sich an die neue Lebenssituation anzupassen.“ Seidlitz informierte über die auftretenden, sich oft auch körperlich äußernden Anpassungsstörungen, wie Antriebslosigkeit, bleierne Müdigkeit, ständige unbegründete Angst, Trauer und auch Wut. Bereits hier gebe es viele, für die die Situation so unerträglich sei, dass sie an Selbsttötung dächten.

Er informierte weiter, was, medizinisch gesehen, im menschlichen Gehirn vorgehe bei einem Trauma: „Neurophysiologische Vorgänge verhindern, dass das Ereignis sofort verarbeitet werden kann, damit die sofortige Handlungsfähigkeit erhalten bleibt.“ Dabei halte das Gehirn pauschal nur drei Reaktionen bereit: „Kampf, Flucht, und, wenn beides nicht möglich ist, Totstellen. Wir alle kennen das auch von Tieren. Gefühlsempfindungen bleiben ausgeschaltet im Interesse des Überlebens.“

Später allerdings fehle das: Die Erinnerungen seien ungeordnet, willentlich nicht steuerbar, man könne sie nicht in einer Reihenfolge erzählen. Stattdessen gebe es Erinnerungsfetzen, die wie eingebrannt wirkten, oder Flashbacks. „Bestimmte Sinneseindrücke können Panikattacken auslösen. Das alles kann sich über viele Jahre, sogar Jahrzehnte hinziehen, was man posttraumatische Belastungsstörung nennt. Das ist keine geistige Erkrankung, sondern eine völlig normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis“, sagte der Trauma-Experte.

Heilen oder bearbeiten könne das ein ehrenamtlicher Helfer nicht. „Aber er kann damit umgehen, etwa erkennen, dass Wut und Aggression sich nicht auf ihn persönlich beziehen.“ Heiner Seidlitz empfahl vertrauensbildende Maßnahmen, wozu auch das Vermeiden übertriebener Hoffnungen gehöre. Wichtig sei es, Traumatisierte nicht dazu zu bringen, von ihren Erlebnissen zu erzählen. „Das verschlimmert alles. Stattdessen zuhören, wenn sie selbst es wollen und können.“ Die Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltung hatten viel aus ihren Erfahrungen zu berichten – nicht nur aktuell zur Flüchtlingssituation. In der Kriegs-und Nachkriegszeit hätten Eltern und Großeltern Traumata erlebt, die man damals nicht habe benennen können.

Heiner Seidlitz hat bereits nach der Flugkatastrophe von Ramstein 1988 Gruppen zur Nachbegleitung Traumatisierter aufgebaut und ist heute im Ruhestand ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit tätig, ebenso wie die fast dreißig Teilnehmer aus Kirchengemeinden im Rhein-Pfalz-Kreis.

Hinweis: Das Psychosoziale Zentrum (PSZ) der Diakonie Pfalz berät in Ludwigshafen besonders schutzbedürftige und/oder traumatisierte Flüchtlinge: Opfer von Folter und Gewalt sowie schwer psychisch oder körperlich erkrankte Menschen.

Mehr zum Thema: www.diakonie-pfalz.de/ich-suche-hilfe/migranten-und-fluechtlinge/psychosoziales-zentrum-pfalz.