"Experimatthäus" in Ludwigshafen 

"Einer der lebendigsten Orte"

Achtung Baustelle! Foto: lk/Wagner

Die Räum-Aktion feierte die Gemeinde mit einem Gottesdienst. Foto: Jona-Gemeinde/Daniel Czok

Vor der Kirche lädt der Garten zum Mitmachen ein. Foto: lk/Wagner

Liegestuhl und Sitzsäcke statt Kirchenbänke? Grünkohl und Katzengras im Kirchgarten? Die Ludwigshafener Matthäuskirche will sich neu erfinden. Deshalb wird seit einem Jahr experimentiert: mit Ideen und dem Raum, mit Möbeln und Pflanzen. 

Ludwigshafen, Speyer (lk). An der Matthäuskirche in Ludwigshafen stehen die Zeichen auf Wandel: Das Gemeindehaus soll abgerissen werden und einer Kita Platz machen. Geplant ist, dass die Kirche selbst das Gemeindehaus ersetzt. Diese Idee will die Gemeinde zunächst ausprobieren, bevor sie sich endgültig entscheidet. Ehren- und Hauptamtliche der Jona-Kirchengemeinde experimentieren nun in und mit der Matthäuskirche. Daher lautet der Name dieses Projekts "Experimatthäus".

Eifriges Entdecken mit viel Spaß

Das Gotteshaus wurde in den 1960er Jahren errichtet und besitzt nicht die Optik eines traditionellen Kirchenbaus: Es gibt keinen kreuzförmigen Grundriss, sondern einen Zentralbau, Beton dominiert. "Es ist ein Ort, der mit Provisorien leben kann", findet Gemeindepfarrerin Kerstin Bartels. "Hier kann experimentiert werden." Dabei ist ihr bewusst, dass Kirchenräume behutsam verändert werden müssen, weil viele Menschen ganz persönliche Erinnerungen damit verknüpfen. "Da ist es gut, wenn ein Experimentierraum auch zum Segensraum wird und auf jeden Fall auch Gottesdienstraum bleibt."

Um nach vorn zu blicken, hat das Presbyterium einen Zukunftsausschuss gebildet. Aktive aus Ludwigshafen-West wurden zum Mitdenken und Mitmachen eingeladen. Einer von ihnen ist Thomas Wolf, der sich seit Jahren ehrenamtlich an der Matthäuskirche engagiert. Um ihn hat sich eine Gruppe gebildet, die nun mit großem Eifer und Spaß die Kirche neu entdeckt.

Im August 2021 ging es richtig los: Baustellenschild rein, zwei Drittel der Kirchenbänke raus. Auf den verbliebenen sitzen die älteren Besucherinnen und Besucher noch ganz gerne. Andere nehmen auf Sitzsäcken, Hockern oder im Liegestuhl Platz.

In vielen Dingen lassen Kerstin Bartels und ihr Kollege Florian Grieb den anpackenden Ehrenamtlichen freie Hand. Eine Bedingung: Die Kosten sollen so gering wie möglich ausfallen. Hier setzt die engagierte Gruppe auf Spenden und hat schon etliche Möbel in die Kirche geholt: eine Einbauküche sowie Schränke, um Dinge aus dem Gemeindehaus unterzubringen. Von der Stadt Ludwigshafen bekam sie ausrangierte Stellwände, hinter denen sich das Stuhllager versteckt. Experimentiert wird mit dem Sichtschutz, mit Tischen und Licht. Alles wird immer wieder neu aufgebaut und ausgerichtet, um die Wirkung zu sehen.

Flexibler Raum beflügelt

Auch vor dem Altar macht der Wandel nicht halt. Er soll – zunächst testweise – an eine andere Stelle rücken. Es fehlt noch ein Regal für Bücher, an das eine Leseecke angedockt sein soll. Und eine Toilette braucht die Kirche noch. Freies WLan, das vor allem Jugendliche nutzen, ist schon eingerichtet. 

Das Team der Ehrenamtlichen schwärmt von den neuen Ideen, die sich bereits in der Matthäuskirche verwirklichen ließen: eine Lesenacht samt Übernachtung für Kinder und ein Gottesdienst mit mehreren Bands. Die Kirche hat für all das Platz.

Die Gruppe hat noch viel mehr vor. Die Ideen sprudeln nur so: Schlagernachmittag, Tanz-Café, Sitzgymnastik, Bingo, Sketch-Aufführungen, Konzerte, Lesungen, Weihnachtsmarkt, eine Andacht auf Knopfdruck zum Hören, kreative Angebote für Klein und Groß oder ein Gottesdienst mit Krimi-Lesung. Pfarrerin Bartels denkt über ein Trauer-Café nach Beisetzungen nach. Der Hauptfriedhof liegt ja direkt hinter der Matthäuskirche.

Auch im brachliegenden Kirchgarten wird kreativ gearbeitet. Seit dem Frühsommer bepflanzt das Team alles, was es in die Hände bekommt: Toaster, alte Wanderschuhe, eine Puppen-Wiege oder Stühle. Die Ehrenamtlichen ernteten Bohnen, Gurken und Petersilie und freuen sich auf Grünkohl, Portulak und Mangold. Sie denken an Patenschaften für Hochbeete und einen Gartenmarkt mit Pflanzen-Tauschbörse. In Workshops sollen schicke Vogelscheuchen entstehen.

Kirche soll wichtige Rolle im Stadtteil übernehmen

Die Matthäuskirche soll ein Ort sein, an dem Fäden zusammenlaufen – nicht nur kirchliche. "Wir wollen einen Kommunikationstreffpunkt schaffen", sagt Thomas Wolf. Der Standort ist zweifelsohne auf dem Weg dahin. Immer mehr wird er zur diakonischen Zweigstelle: In der Pandemie zogen die Kleiderkammer "Tragbar" und die Lebensmittelretter mit der "Essbar" ins Gemeindehaus und dessen Garage. Wie gut, dass die Räume schon leer standen. Alles, was von der Kirchengemeinde organisiert wird, läuft unter dem Namen "Ansprechbar".

Der MItmach-Garten soll Kita-Kinder und Anwohner anziehen. Besonders im Blick sind die Anwohner der Bayreuther Straße mit Not-Wohnungen für Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht sind. Den Kontakt zu einem Sozialarbeiter hat die Gruppe schon hergestellt.

Ein Recycling-Kaufhaus unterstützt die Matthäus-Initiative. Auch mit Diakonie und Caritas arbeitet die Initiative zusammen. Die Kirchengemeinde möchte aktiv dazu beitragen, die Akteure im Stadtteil weiter zu vernetzen. Wenn Ende 2023 die öffentlich geförderte Quartiersarbeit endet und damit der Bürgertreff schließt, könnten die Angebote von dort in die Matthäuskirche umziehen.

Vieles bewegt sich in und um die Matthäuskirche. "Das wollten wir", stellt Thomas Wolf fest. Und Pfarrerin Kerstin Bartels ergänzt: "Hier steckt viel Energie, er ist einer der lebendigsten Orte im Moment."

Info

Das "Ansprechbar"-Café ist freitags von 10.30 bis ca. 13.00 Uhr geöffnet.