Landeskirche und Evangelische Akademie stellen Handbuch „Protestanten ohne Protest“ vor 

Einen Schlussstrich unter die Geschichte darf es nicht geben

Speyer (lk). Die Selbstanpassung des pfälzischen Protestantismus an das Nazi-Regime bleibt nach den Worten von Kirchenpräsident Christian Schad belastendes Erbe und dauerhafte Mahnung. Einen Schlussstrich unter die Geschichte könne es nicht geben, führten Schad und der Direktor der Evangelischen Akademie der Pfalz, Christoph Picker, bei der Vorstellung des Handbuches „Protestanten ohne Protest“ am Montag im Historischen Museum in Speyer aus. „Vergangenheit kann verblassen, aber sie lässt uns nicht los. Die Jahre 1933 bis 1945 gehören genauso zur Identität unserer Kirche wie die Reformation, wie die Speyerer Protestation und wie die Union von 1818.“

Zugleich wiesen sie auf die über den Bereich der Kirche hinaus aktuelle Bedeutung des Buches hin. „Unsere Erinnerung liefe ins Leere, wenn wir sie nicht mit der Frage nach der praktischen Solidarität verbänden“, sagte Kirchenpräsident Schad vor Gästen aus Politik, Kirche und Gesellschaft. Herausgeber des Handbuches zur Rolle der Landeskirche während des Nationalsozialismus sind Akademiedirektor Picker, die Leiterin des Zentralarchivs der pfälzischen Landeskirche, Gabriele Stüber, Oberkirchenrat i.R. Klaus Bümlein und Kirchenrat Frank Matthias Hofmann. Im Auftrag der Landeskirche und unter Federführung der Evangelischen Akademie der Pfalz haben 60 Autoren an dem zweibändigen Werk mitgewirkt.

„Rheinpfalz“-Chefredakteur Michael Garthe bezeichnete „Protestanten ohne Protest“ als „herausragendes, wichtiges Werk für die Pfalz“, in dem vieles neu, interessant und erschütternd sei. Es stifte über die konfessionelle Betrachtung hinaus Geschichts- und Heimatbewusstsein der Pfälzer insgesamt und mache viele Zeitgenossen zu „Alphabeten der Geschichte“, obwohl viele Menschen bei der Betrachtung der NS-Zeit lieber Analphabeten geblieben wären.

Aus der Geschichte lernen bedeute für die bundesrepublikanische Gegenwart, dass Christen mehr denn je ein Bollwerk gegen Fremdenhass, Militarismus, Zensur und Nationalismus sein müssten. „Alles, was zum Faschismus und Nationalsozialismus geführt hat, darf es in unserer Gesellschaft nicht mehr geben“, erklärte Garthe. Für die Pfalz und die Pfälzer im 21. Jahrhundert bedeute dies, mit den ausländischen Mitbürgern und den europäischen Nachbarn friedlich und offen miteinander zu leben. „Heimatbewusstsein stiftet Identität, aber die eigene Identität kann nur im Gegenüber anderer entstehen”, sagte Garthe. Heimatliebe und Fremdenhass schlössen einander aus.

Nicht nur für die Protestantische Landeskirche sei die „Lehre aus der NS-Geschichte“, dass die Kirche nicht im Dienst der Politik stehen und kein Erfüllungsgehilfe der Regierung sein dürfe. Die Kirche habe eine gesellschaftliche Aufgabe und keine staatliche Gewalt, ergreife Partei ohne eine Partei zu sein.

Das Buch sei nicht nur ein selbstkritischer Blick zurück, führte Kirchenpräsident Schad aus. Es erinnere auch an die Verantwortung, die Kirche und Gesellschaft den heute von Verfolgung bedrohten Menschen schuldeten. "Wir sind alle von den Folgen unserer Vergangenheit betroffen und für sie in Haftung genommen." Die von der Landessynode im Jahr 1934 verabschiedete einstimmige Entschließung, in der sie sich zur "Reichskirche" und zum "Dritten Reich Adolf Hitlers" bekannt habe, sei für ihn "der dunkelste Text in der Geschichte unserer Landeskirche", sagte Schad. Zwar habe es damals auch Menschen gegeben, die aufbegehrten, aber es seien zu wenige gewesen "und ihre Stimmen waren zu schwach".

„Wer aus der Geschichte lernen will, der kommt um die intensive Beschäftigung mit ihr nicht herum“, sagte Akademiedirektor Christoph Picker. Indes sei „Protestanten ohne Protest“ kein moralisches Buch. „Beabsichtigt war nicht so etwas wie eine Abrechnung mit den Verfehlungen und Versäumnissen früherer Generationen. Aber wir kommen zu dem Fazit, dass der pfälzische Protestantismus in der NS-Zeit seinem Selbstverständnis und seinem Bekenntnis nicht gerecht geworden ist.“ Ausnahmen habe es gleichwohl gegeben: Der Thaleischweiler Pfarrer Heinz Wilhelmy, der die aggressive Außenpolitik des Regimes kritisiert habe; Pfarrer Johannes Bähr, der im Schulunterricht die Novemberpogrome offen verurteilt habe, der Pirmasenser Pfarrer Oswald Damian, der vor dem Rassismus, dem Militarismus und der Christentums-Feindlichkeit der Nationalsozialisten gewarnt habe.

Unter dem Schwerpunktthema „Protestanten ohne Protest – die evangelische Kirche der Pfalz im Nationalsozialismus“ beschäftigt sich auch die Frühjahressynode der Landeskirche mit der Aufarbeitung ihrer Geschichte. Die Tagung findet vom 1. bis 4. Juni im Martin-Butzer-Haus in Bad Dürkheim statt.

Hinweis: Das Handbuch „Protestanten ohne Protest. Die evangelische Kirche der Pfalz im Nationalsozialismus“ ist zum Preis von 59,90 Euro erhältlich beim Verlagshaus Speyer, Telefon 06232/24926, E-Mail: info@verlagshaus-speyer.de.