Hausandacht 

Der Countdown über Ninive läuft

Oberkirchenrat Manfred Sutter. Foto: lk.

Drei

Drei Tagereisen war die Stadt Ninive groß. Unvorstellbar. Eine gewaltige Anzahl an Häusern, Straßen, Menschen und Tieren. Dieser Lärm, das Geschrei, das Blöken, Mähen und Bellen. Diese Farben in der grellen Mittagsonne. Dieser Duft nach Orangenblüten und Gebratenem. Und der Gestank nach Dung und Schlimmerem. Ninive. Eine Weltmetropole. Groß in jeder Hinsicht. Auch in der Bosheit. Drei Tagesreisen groß.

Drei. Eine kleine Zahl. Erst in der Relation wird sie groß.

Aller guten Dinge sind drei, sagt man. Nicht immer. Drei Tage können die Hölle sein. Drei Tage im Bauch des Seeungeheuers. Allein ist der Prophet. Justus Jonas hatte Peter und Bob, Harry hatte Ron und Hermine. Selbst Tim hatte Struppi. Jona hatte niemanden. Er war allein im Bauch des Fisches.

3 Tage und 3 Nächte. Die Geschichte schweigt darüber. Kein Wort über die Gerüche in den Eingeweiden des Seeungeheuers. Über das Licht und die Farben. Über die Dunkelheit und die Angst.

Jona: drei Tage gefangen im Bauch des Fisches wie in einem

Grab. Jesus: drei Tage und drei Nächte eingemauert im Felsengrab, gefangen im Tod. Drei Tage – erst dann kommt die Verwandlung.

Zwei

Manches muss man zweimal sagen. Zweimal erging das Wort Gottes an Jona: „Geh. Predige.“ „Das kann ich nicht. Ich kann nicht predigen.“ „Das will ich nicht, ich habe Angst. Lieber laufe ich weg. Vor der Aufgabe. Vor der Angst. Vor der Scham. Vor meinem Versagen. Mose sagt das. Jeremia sagt das. Jona sagt das. Die „gang“ der Versager, die Gott dennoch beruft.

Manchmal muss man rückwärts gehn zum Ziel. Der Umweg ist der Weg. Zu der Aufgabe, die dich erwartet. Zu den Menschen, die dich brauchen. Manches muss man zweimal hören, um es zu verstehen. „Geh. Predige!“, sagt Gott zum zweiten Mal. Ohne Zorn. Ohne Enttäuschung. Geduldig. Voller Zu-trauen in meine begrenzten Fähigkeiten. Eine zweite Chance. Die Träume, die längst aufgegeben, verschüttet in mir, beginnen wieder aufzuleben …

Eins

Eine Tagesreise wagt der Prophet sich in die Riesenmetro-pole. Noch nicht einmal die Hälfte des Weges hat er geschafft. Und er sagt nur eins: „Der Countdown läuft. Untergang in 40 Tagen.“ Rhetorisches Feuerwerk? Empathie für seine Hörer? Begründung? Fehlanzeige. Nur ein Kernsatz. Und der hat es in sich. Kein Wort von oder über Gott – statt-dessen Holzhammer und drauf. Doch erstaunlicherweise geschieht ein Wunder. Damit meine ich nicht, dass die Menschen ihn ernst nehmen – und das schon beim 1. Hören. Das Wunder ist, dass sie an Gott glauben – ohne ihn zu kennen.

Schon einmal ist das in der Jona-Geschichte passiert. Beim ersten Fluchtversuch des Propheten. Als die Seeleute weder ein noch aus wissen. Das Meer brodelt und Wellen schlagen. Gischt. Wellenberge und Wassertäler. Und sie schreien zu ihren Göttern. Vergebens. „Nehmt mich und werft mich ins Meer“, sagt der Prophet. Und sie rudern verzweifelt, weg von dieser Antwort. Vergebens. Da rufen sie zu Gott und sprechen: „Ach, Herr, lass uns nicht untergehen, wenn wir diesen Mann jetzt ins Meer werfen! Gib uns nicht die Schuld an seinem Tod! Denn du bist der Herr! Wie es dein Wille war, so hast du es getan.“ Dann packen sie Jona und werfen ihn ins Meer. Sofort beruhigt sich die See und hört auf zu toben. Da ergreift die Männer große Furcht vor dem Herrn. Sie bringen dem Herrn ein Opfer dar und legen Gelübde ab. Noch nie hatten sie von diesem Gott gehört – und seiner Macht über die Schöpfung und doch erkennen sie ihn.

Noch nie hatten sie von diesem Gott gehört, geschweige denn von seinen Geboten. Und doch rufen sie ein Fasten aus in Ninive und ziehen Trauerkleider an, alle ohne Ausnahme. Der König steigt von seinem Thron und setzt sich in den Staub. Seinen Königsmantel wirft er in den Dreck und streift das Kleid der Trauer über. Der König verordnet Staats-buße: „Jeder soll von seinem bösen Weg umkehren und seine Hände von Gewalttaten lassen“. Und alle, alle, Groß und Klein, der König und seine Hofschranzen, Rinder und Schafe, Mensch und Tier, ja, auch die Tiere, bereuen und tun Buße. Ohne Schuldzuweisung und Entschuldigungen fängt jeder bei sich selbst an. Sie fasten als Zeichen ihrer Buße. Die Menschen rufen heftig zu Gott, mit aller Kraft. 40 Tage lang. Wie das Volk Israel in der Wüste. Wie Jesu, bevor er sich dem Versucher stellte. Ohne Garantie, dass das etwas nützt. Auf bloße Hoffnung hin. Wer weiß, ob Gott nicht umkehrt und es ihn reut und er sich abwendet von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben. Wer weiß, ob Gott es nicht doch gut mit uns meint? Wer weiß?

Die große Frage

Das ist doch die große Frage. Wer weiß wie Gott ist? Jona meint es zu wissen. Gott ist so berechenbar. Bestraft die Bösen, belohnt die Guten. Ob man ihn kennt oder nicht. Gerecht eben. Unberührt. Unwandelbar. Allmächtig. Jona wartet auf den großen Knall. Außerhalb der Stadt wartet er. Auf den

Weltuntergang mit Panoramablick. Auf das Zero.

Jona weiß nichts. Die Bibel kennt keine Null, kein Nichts, keinen Ort, an dem Gott nicht ist. Die Seeleute wissen es besser, als sie zu diesem Gott beten. Die Menschen in Ninive wissen es besser, als sie mit aller Kraft zu Gott flehen. Auf Grund ihrer Bitten reut Gott das angekündigte Unheil, der große Knall wird abgesagt. Kein Ground Zero. Stattdessen: Neustart. Gott ist gnädig und barmherzig, langmütig im Zorn und groß an Güte. Er ist wandelbar, lässt sich erweichen.

Wer weiß wie Gott ist? In Ninive ändert sich Gott ändert seine Absicht – weil die Menschen Buße tun und mit aller Kraft zu ihm flehen. So werden einst die Niniviten im großen Weltgericht dabei sein und richten, weil sie auf die Verkündigung Jonas hin Buße taten. Und andere, die diesen Gott kannten, nicht. Wer weiß wie Gott ist? Selten der, der es zu wissen glaubt und Gott für die eigenen Allmachtsphantasien missbraucht.

So endet die Geschichte vom göttlichen Countdown mit einer Frage. Einer Frage Gottes an Jona. „Sollte Ninive mir nicht leid tun – eine große Stadt mit mehr als 120 000 Menschen?“ Der Mensch fragt – und Gott antwortet, wie es ihm gefällt. Doch an seiner Gnade und Barmherzigkeit, seiner Geduld und Güte kommt keiner vorbei. Das steht außer Frage.

Amen.