Andacht 

Den Mut haben, Widerspruch einzulegen

Oberkirchenrätin Marianne Wagner. Foto: lk/Linzmeier-Mehn.

Liebe Brüder und Schwestern!

„Jetzt sind die Ostern auch schon wieder vorbei!“ Diesen Satz pflegte meine Oma am späteren Nachmittag des Ostermontags zu sagen. Jedes Jahr. Ostern war für sie nicht nur das höchste Fest im Kirchenjahr, sondern auch ein Höhepunkt in jedem ihrer Lebensjahre. Denn mit Schicksalsschlägen kannte sie sich aus.

Ihr Mann war noch 1945 im Krieg gefallen und so trug sie alleine die Verantwortung für meine Mutter in den Nachkriegsjahren. Oma wusste wie es sich anfühlt, wenn die Welt auf einmal still zu stehen scheint und man nicht weiß, wie es weiter gehen soll. Aber sie hatte auch die Erfahrung gemacht, dass in den dunkelsten Stunden ein Licht ganz unverhofft daherkommen kann und Kraft gibt. Sie war sich sicher, dass dahinter nur Gott stecken kann. So erlebte meine Oma jedes Osterfest als Bewahrung in Leid und Traurigkeit und Ermutigung fürs Weitergehen.

Und ein Zweites: Sie wollte nach den Feiertagen dann auch wieder richtig im Alltag anpacken. Denn es muss ja weitergehen.

Wie wollen wir nach Ostern weitergehen? Eigentlich müssten wir uns diese Frage in jedem Jahr stellen. Das tun wir meistens nicht, ehrlich gesagt. Aber vielleicht in diesem besonderen Jahr 2020? Wir haben Ostern anders gefeiert als sonst, nicht als ganzer „Haufe“ wie Martin Luther sagte, sondern zuhause, Gottesdienst vor dem Fernseher oder online, Hausgebet mit denen, die da sind oder auch alleine. Keine Familienbesuche, kein Ostereiersuchen – und der Osterspaziergang war auch nur unter Einschränkungen möglich. Unser meist doch durchgeplantes Leben, wo man das, was im Kalender steht, auch macht, ist ziemlich auf den Kopf gestellt worden.

Für mich ist das alles genug Anlass, um innezuhalten und zu überlegen, was nach dieser Krise anders gemacht werden kann. In unserer Gesellschaft und in unserer Kirche. Natürlich auch in unserem persönlichen Leben. Den Satz „Hoffentlich wird alles schnell wieder normal“ will ich so vollmundig nicht mitsprechen. Denn zu Allem sollten wir nicht zurückkehren, finde ich. So Manches an „unserer Normalität“ sollte auf den Prüfstand kommen. Zum Beispiel, dass sich alles rentieren muss und Gewinn abwerfen.

Wir lernen gerade, dass dies im Bereich der Daseinsfürsorge höchst problematisch ist. Schaffen wir es, im Gesundheitssystem so umzusteuern, dass Menschen, die ihre Arbeitskraft und Gesundheit für andere einsetzen, dafür auch angemessen bezahlt werden? Wollen wir nicht auch mehr auf regionale Produktion setzen und das ausgeuferte Hin- und Herkarren von Produkten, das die Luft verpestet und die Straßen verstopft, einschränken?

Unser Wirtschaften und das „Mehr, Schneller, Effektiver-Denken“, hat es nicht schon genug Menschen krank gemacht, unsere Umwelt, Gottes Schöpfung geschädigt und bereits Kinder an ihrer Seele Schaden nehmen lassen?

Jetzt ist doch die Zeit, die Wachstumsideologie zu überdenken, die Wachstum nur an Materiellem festmacht. Natürlich brauchen wir Wachstum, aber sollten wir jetzt nicht daran gehen, Nächstenliebe, Solidarität, Gottvertrauen, Liebe und Hoffnung wachsen zu lassen? Damit können wir übrigens schon mal ganz im Kleinen anfangen. Jede und jeder im persönlichen Umfeld. Ich bin sicher, dass dies auch dann Wirkung zeigen wird, wenn wir daran gehen, unser Miteinander auf eine neue Grundlage zu stellen.

Aber: Wir müssen losgehen. Gerade als Kirche sollten wir uns nicht einigeln, sondern die Kraft, die uns vom auferstandenen Christus zuwächst, einsetzen. Mutig sein. Widerspruch einlegen. Spürbar für das Leben unterwegs sein, sensibel für Zerbrechlichkeit. Dann erscheint die Welt in einem anderen Licht.

Wir schaffen das, wenn wir uns von Christus dazu bewegen lassen. So wie der Auferstandene seine Jüngerinnen und Jünger aufgefordert hat, aufzubrechen, sich nicht einzuschließen, sondern hinauszugehen in die Welt.

Amen.

 

Gebet

Christus, nach Ostern müssen wir wieder in die Welt.

So wie du deinen Jüngerinnen

und Jüngern aufgetragen hast,

deine Auferstehung zu bezeugen,

so willst du auch uns schicken.

 

Vielleicht spüren wir in diesen Ostertagen besonders,

dass deine Botschaft unter die Leute muss,

geteilt werden, weitergesagt, in Gemeinschaft.

In diesem Jahr sind wir aber wie angebunden

und müssen nach anderen Wegen suchen,

um dein Wort zu hören, zu beten und zu singen.

 

Christus, lass uns diese besondere Zeit gut nutzen,

um darüber nachzudenken, wie es weiter gehen soll,

wenn diese Krise vorbei ist.

Hilf uns, dass wir nicht einfach in den alten Trott verfallen,

wenn wir spüren, er tut weder uns noch anderen gut.

 

Schenk uns Mut, Widerspruch einzulegen,

wenn Egoismus und der Mammon

sich wieder in den Vordergrund drängen wollen.

 

Zeige du uns den Weg, den wir gehen sollen.

Sei vor uns, hinter uns und neben uns,

gerade, wenn es steinig und holprig wird.

Sei in uns und erfülle uns mit deinem Licht.

Amen.