Buchdruck und Universitäten sorgen für Verbreitung
Speyer (lk). Europa ist nach Ansicht der Direktorin des Instituts für Europäische Geschichte, Irene Dingel, schon früh von der Reformation erfasst worden. Auch wenn der entscheidende Impuls von Wittenberg ausgegangen sei, so habe es in anderen Städten und Regionen Europas wie zum Beispiel Straßburg, Zürich und Genf gleichfalls eigene reformatorische Bewegungen gegeben. Dabei habe das reformatorische Gedankengut meist auf der Grundlage bereits vorhandener reformerischer Strömungen oder auf einer humanistisch-kirchenkritischen Basis aufbauen können, sagte Dingel bei einem Vortrag in der Bibliothek und Medienzentrale der Evangelischen Kirche der Pfalz in Speyer.
Der moderne Buchdruck habe der raschen Verbreitung der reformatorischen Lehre geholfen, sagte Dingel. Dies zeige ein Brief des Baseler Buchdruckers Johannes Froben aus dem Jahr 1519, den dieser an Martin Luther geschrieben habe: „Außerdem haben wir deine Bücher nach Brabant und England geschickt.“ Der Brief belege, dass bereits vor 1520 eine europäische Rezeption der von Luther und Wittenberg ausgehenden Reformation begonnen habe. Multiplikatoren der reformatorischen Ideen seien dabei neben der Buchdruckerkunst vor allem die Hohen Schulen, Akademien und Universitäten in den reformatorischen Zentren Zentraleuropas gewesen.
Auch die Mobilität von Kaufleuten und Studenten hat nach Auffassung Dingels für die Verbreitung der Ideen gesorgt, auch wenn dies durch die Reaktion der Kurie und der politischen Entscheidungsträger zeitweise gebremst worden sei. „Die Verfolgung und Ausmerzung dessen, was man als Bedrohung der herrschenden Ordnung ansah und vor dem Hintergrund der überkommenen kirchlichen Lehre als Häresie qualifizierte, war dort an der Tagesordnung, wo sich keine schützenden politischen Gewalten vor die Reformation und ihre Akteure stellen konnten“, sagte die Historikerin. Ein Blick auf die verschiedenen europäischen Regionen mache deutlich, wie sehr der Erfolg der Reformation einerseits von einer bereits vorhandenen reformerischen Stimmung und andererseits von den politischen Bedingungen abhängig gewesen sei.
Kirchenpräsident Christian Schad erinnerte daran, in welch hohem Maße die Menschen im 16. Jahrhundert miteinander vernetzt gewesen waren, „auch wenn wir zuweilen glauben, die Mobilität sei erst eine Erfindung der Moderne“. Die Auseinandersetzung mit der Reformationsgeschichte zeige, wie durch offene Ländergrenzen und weitgehende Reisefreiheit der Gedankenaustausch der Gelehrten weit über die Sprachbarrieren hinaus ermöglicht worden sei. Dies werde im Blick auf den ersten evangelischen Pfarrer der Pfalz, Martin Bucer, deutlich. Diesen in Schlettstadt geborenen Elsässer habe seine Laufbahn unter anderem nach Heidelberg und Köln geführt. Er sei zum Reformator Straßburgs geworden und habe am Ende seines Lebens in Cambridge/England gewirkt. 2017 werde das reformatorische Erbe Europas unter anderem beim „Stationenweg“ deutlich, der 68 Städte in 19 europäischen Ländern umfasse und auch in Straßburg und Speyer Halt machen werde, betonte der Kirchenpräsident.