Beruf und Berufung gehören zusammen
Speyer (lk). Als aufrichtigen Menschen, der Zeit seines Lebens zugleich geradliniger Politiker und engagierter Christ gewesen sei, hat Kirchenpräsident Christian Schad den verstorbenen Alt-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker gewürdigt. Von Weizsäcker habe in vorbildlicher Weise demonstriert, dass für einen Protestanten Beruf und Berufung zusammengehörten. Ob als Jurist und Anwalt, Bank- und Wirtschaftsmanager oder als Politiker, der viele Jahre in Rheinland-Pfalz wirkende von Weizsäcker habe gezeigt, „dass wir als Christen keine religiöse Sonderexistenz führen, sondern uns auch in der alltäglichen Arbeit zum Dienst für unseren Nächsten berufen wissen“, sagte Schad in Speyer.
Persönlich erinnere er sich gerne an die zahlreichen Vorträge und Diskussionsbeiträge, die von Weizsäcker beim Deutschen Evangelischen Kirchentag gehalten habe, erklärte Schad. „Es waren Zeitansagen im besten Sinne des Wortes, nicht dem Zeitgeist, sondern dem Heiligen Geist folgend“, sagte der Kirchenpräsident. Neben seinen politischen Ämtern war von Weizsäcker Mitglied im Präsidium des Kirchentages und dessen Präsident, EKD-Synodaler und Ratsmitglied der EKD sowie im Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen engagiert.
Nach den Worten des Kirchenpräsidenten habe von Weizsäcker deutlich gemacht, „dass zum Selbstverständnis der Protestantischen Kirche auch die ‚politische Einmischung‘ gehöre". Der Alt-Bundespräsident habe den Glauben nicht für sich behalten, sondern ihn in die Welt und damit auch in die Politik hinein getragen, sagte Schad.
Die Erklärung von Kirchenpräsident Christian Schad im Wortlaut:
„Richard von Weizsäcker bleibt mir vor allem darin Vorbild: sich dem verbindlichen Zusammenhang zwischen dem christlichen Bekenntnis einerseits und der politischen Verantwortung andererseits gewissenhaft zu stellen. Zwar habe die Kirche nicht den Auftrag, unmittelbar Politik zu machen, wohl aber, wie er immer wieder betont hat, ‚Politik möglich zu machen‘.
Richard von Weizsäcker hat vorgelebt, dass wir als Christen keine religiöse Sonderexistenz führen, sondern uns auch in der alltäglichen Arbeit zum Dienst für den Nächsten berufen wissen. Entsprechend hat er in seinen vielfältigen Zeitansagen deutlich gemacht, dass zum Selbstverständnis der Protestantischen Kirche auch die ‚politische Einmischung‘ gehöre.
Dabei unterschied er – im Anschluss an Dietrich Bonhoeffer – zwischen den letzten und den vorletzten Dingen, zwischen dem Glauben an Gottes Wahrheit und der Verantwortung für die Aufgaben unseres Lebens in der Welt.
Aber gerade weil ‚die Kirche‘, wie er sagte, ‚nicht für sich selbst, sondern für diese uns gefährdende Welt da ist‘, setzte er sich, der den gesamten Zweiten Weltkrieg als Soldat erfahren hat, für einen wahrhaftigen Umgang mit der deutschen Geschichte ein – und als Konsequenz daraus: für die Aussöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern, vor allem mit Polen. So zählte er 1965 als Mitglied der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD zu den Mitverfassern der sogenannten ‚Ostdenkschrift‘. Sie gab den entscheidenden Anstoß für die Entspannungspolitik im deutsch-polnischen Verhältnis.
‚Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.‘ Dies war die zentrale Botschaft seiner Rede 1985, 40 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Auch hier leitete ihn das biblische Motiv der Versöhnung dazu an, sich der Vergangenheit zu stellen, die Erinnerung an sie wachzuhalten, um in der Hoffnung auf Vergebung für Frieden und Versöhnung einzutreten.
‚In der Freiheit bestehen‘, dieses Wort des Apostels Paulus aus dem Galaterbrief (5, 1), Losung des Deutschen Evangelischen Kirchentags 1965, dessen Präsident Richard von Weizsäcker war, war so etwas wie sein Lebensmotto.
Aus der in Christus geschenkten inneren Freiheit eines Christenmenschen zur Mündigkeit zu ermutigen und sich für politische Freiheit und Gerechtigkeit einzusetzen, darin bestand für ihn der untrennbare Zusammenhang von christlichem Glauben und gesellschaftlichem Engagement.
Richard von Weizsäcker, dieser aufrechte Protestant, macht uns Mut, sich dieser Herausforderung persönlich je und je neu zu stellen.“