Podiumsdiskussion in Speyer 

Aktiv gegen Missbrauch

Foto: lk/Wagner

Kinder zu schützen und ihre Rechte zu achten: Das klingt so selbstverständlich - ist es aber nicht. Was muss sich verändern, damit Kinder und Jugendliche in Organisationen sicher sind? Antworten auf diese Frage lieferte die Podiumsdiskussion "Hinhören. Hinsehen. Handeln. Aktiv gegen Missbrauch in unserer Kirche" an der Speyerer Gedächtniskirche.     

Speyer (lk). Die Erziehungswissenschaftlerin Mechthild Wolff machte in ihrem Vortrag deutlich, dass es beim Kinderschutz bis heute hapert. Die Professorin von der Hochschule Landshut sagte sogar: Kinderschutz und Kinderrechte reichen nicht in staatliche und kirchliche Organisationen hinein. Dort gebe es trotz aller Kritik keine wirksamen Reformen.

Wenn Macht in Machtmissbrauch kippt

Warum scheint Missbrauch von Schutzbefohlenen in Organisationen so einfach möglich zu sein? Mechthild Wolff erklärte: Organisationen seien grundsätzlich viel mächtiger als Einzelne. Es bestehe das Risiko, dass sie ihre Macht missbrauchen. Dies sei vor allem in Organisationen der Fall, die feste Strukturen besitzen und in sich ein Machtgefälle.

Zudem sieht die Professorin eine Besonderheit von sozialen Einrichtungen: Wer anderen hilft, gelte automatisch als gut und fehlerlos. Deshalb würden Außenstehende darauf vertrauen, dass sich diese Organisationen korrekt verhalten.

Sie betonte, dass alle in einer Organisation Verantwortung tragen. Es gebe keine einzelnen Täter oder Täterinnen. Ihr Tun werde gedeckt, geduldet oder übersehen. Deshalb müsse eine Organisation immer als Ganzes betrachtet werden. 

Nicht nur schützen, sondern stärken

Mechthild Wolff lieferte Vorschläge, wie wirksamer Schutz aussehen sollte. Zu allererst müsse sich die Sichtweise umkehren: Anvertraute dürften nicht als Hilfsbedürftige betrachtet werden, sondern als Menschen mit Rechten. Organisationen sollen das nicht nur respektieren, sondern die Einzelnen bestärken, ihre Rechte auszuüben.  

Mitarbeitende müssten sehr wachsam und achtsam sein, wenn Rechte, Würde und Selbstbestimmung verletzt werden. Das sollte man nicht nur bei anderen, sondern auch bei sich selbst tun.

Dies zu erreichen, sei die aktuelle Aufgabe und eine große Herausforderung, sagte Bettina Wilhelm, Missbrauchsbeauftragte der Protestantischen Landeskirche. Die Landeskirche arbeitet ihr zufolge daran, eine Kultur des Hinsehens zu schaffen. "Alle müssen sich ihrer Verantwortung bewusst werden." Entsprechende Schulungen laufen, in allen Einrichtungen der Landeskirche werden Schutzkonzepte entwickelt. Auch eine Anlaufstelle für Betroffene – wie von der Erziehungswissenschaftlerin Wolff vorgeschlagen - hat die Landeskirche geschaffen. Als erste evangelische Landeskirche verlangen die Pfälzer von allen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen mit wichtiger Verantwortung erweiterte Führungszeugnisse.

Striktes Handeln im Verdachtsfall

Zwar gebe es in der evangelischen Kirche weniger Missbrauchsfälle als in der katholischen, aber "jeder Fall ist zu viel", so Wilhelm. Sie schildete, wie die Landeskirche bei einem Verdachtsfall handelt. Das strikte Vorgehen beuge weiterem Missbrauch vor, denn "jede verfolgte Tat ist abschreckend".

Anja Ziebler-Kühn vom Kinderschutzbund Landau berichtete eindrücklich, wie Kinder und Jugendliche körperlich und seelisch auf Missbrauch reagieren. Wie Missbrauchsfälle rechtlich behandelt werden, machte Anja Schraut deutlich. Sie ist Vizepräsidentin des Landgerichts Frankenthal und Vorsitzende der Unabhängigen Kommission der Landeskirche. Sie machte klar, dass es kaum eine Grauzone gibt, was als Missbrauch gewertet wird: "Die Schwelle zur Straftat ist sehr niedrig."

Hintergrund

Die Evangelische Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) verfolgt seit Jahren eine Null-Toleranz-Politik mit konkreten Maßnahmen. Bereits am 24. November 2018 hat die Landessynode das "Gesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt" verabschiedet. Wesentliche Elemente sind die Beteiligung Betroffener, die individuelle Aufarbeitung durch eine unabhängige Kommission sowie die institutionelle Aufarbeitung. Weitere Punkte sind Vorbeugung und schnelles Einschreiten.

Zudem ist Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst Mitglied im Beauftragtenrat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Schutz vor sexualisierter Gewalt. Die Pfälzische Landeskirche arbeitet in der Aufarbeitungskommission der Südkirchen mit. Im März 2023 ist ein Betroffenenforum geplant. Das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat am 1. Juli 2022 seine Arbeit aufgenommen.