70 Jahre Kriegsende: "Befreiung und Verpflichtung"
Darmstadt/Speyer/Düsseldorf/Kassel (lk). Die Leitenden Geistlichen der evangelischen Kirchen in Rheinland-Pfalz und Hessen haben angesichts des Gedenkens an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren „dauerhafte Lehren aus dem Dammbruch der Zivilisation in Europa“ angemahnt. So sei die „Befreiung vom Nationalsozialismus am 8. Mai 1945 zugleich mit der Verpflichtung verknüpft, auch in Zukunft für die Freiheit und den Frieden sowie gegen Rassismus und radikalen Nationalismus einzutreten“, erklärten der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung, der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche der Pfalz, Christian Schad, der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, und der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Martin Hein, gemeinsam.
Die Leitenden Geistlichen erinnerten auch an die Mitschuld der evangelischen Kirche an der „menschenverachtenden Politik Nazi-Deutschlands“. So hätten sie die „rassistischen und militaristischen Handlungen des NS-Regimes in weiten Teilen mitgetragen“ oder mit Blick auf die Verfolgung jüdischer Menschen und anderer Minderheiten „oft sogar im vorlaufenden Gehorsam unterstützt“. Nach 1945 habe die evangelische Kirche „ihr beschämendes Verhalten benannt, ihre Mitschuld am millionenfachen Tod bekannt und daraus die Konsequenz gezogen, in Zukunft verantwortungsvoll für Demokratie und Menschenrechte einzutreten“.
Nach Ansicht des hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Volker Jung (Darmstadt) habe der Zweite Weltkrieg darüber hinaus gezeigt, wie wirksam „das abgrundtief Böse im Menschen in der Welt“ sein könne, das längst nicht überwunden sei. So würden Menschen immer wieder „in Diktaturen entrechtet und in Kriegen getötet“. Dies sei gegenwärtig auch eine der Hauptursachen für eine in der jüngsten Geschichte „beispiellose Fluchtbewegung“, bei der Menschen auf der Suche nach einem friedlichen Leben oft genug den Tod fänden. Jung wies auch auf die besondere Mitverantwortung Deutschlands für den Frieden in der Welt hin, da es als viertgrößter Exporteur von Militärtechnik gelte. „Die erste Frage darf niemals sein, was durch Waffenlieferungen erreicht werden kann, sondern wie die zivile Entwicklungs- und Friedensarbeit vor Ort gestärkt werden kann“, erklärte Jung.
Der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche der Pfalz, Christian Schad (Speyer), erinnerte daran, dass die christliche Friedensethik auf der Erfahrung aufbaue, „dass Gott ein Freund des Lebens ist“. Darum unterstützten die Kirchen über den Religionsunterricht hinaus die Erziehung „zum gewaltfreien Zusammenleben und zur verpflichtenden Idee der Völkergemeinschaft“ und engagierten sich im Netzwerk Friedensbildung Rheinland-Pfalz, das Inhalte und Anschauungsbeispiele gelungener ziviler Konfliktbewältigung in den Schulen bekannt mache. Darüber hinaus unterstütze die pfälzische Landeskirche auch die neu eingerichtete Friedensakademie Rheinland-Pfalz, die sich ausdrücklich in Fragen der Konfliktprävention und zivilen Konfliktbearbeitung engagiere.
Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski (Düsseldorf), verwies auf den zuletzt in Anschlägen und Angriffen erschreckend offen zu Tage getretenen Rassismus gegen Juden in Deutschland. „Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um die Heimat zu bewahren, die Jüdinnen und Juden nach den Schrecken der Shoa bei uns gefunden haben“, sagte Rekowski. Es sei wichtig, weiter „Projekte der Hoffnung und Verständigung zu fördern, denn jüdisches Leben in Deutschland, Europa und unserer Nachbarschaft ist ein Segen“.
Der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Martin Hein (Kassel), erinnerte an die ungeheuren Flüchtlingsströme nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Insbesondere angesichts der zurückkehrenden Emigranten, denen im Ausland Asyl gewährt worden sei, habe das Grundgesetz bewusst offen formuliert: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“. Für den Wiederaufbau Deutschlands und die Entwicklung seiner politischen Kultur seien sie von entscheidender Bedeutung gewesen. „Gerade die Erinnerung an diese Erfahrungen sollte uns auch heute dazu verpflichten, Menschen, die unter Krieg und Verfolgung leiden, eine sichere Zuflucht zu bieten“, so Hein.
Hinweis: Die evangelischen Kirchenpräsidenten Jung und Schad gestalten mit dem rheinischen Vizepräses Christoph Pistorius und dem Mainzer Kardinal Karl Lehmann am Freitag ab 17 Uhr in der Christuskirche in Mainz einen ökumenischen Gottesdienst zum 8. Mai. In der Feier, die im Rahmen einer Gedenkveranstaltung des Landes Rheinland-Pfalz zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren stattfindet, soll der Opfer gedacht, an die Befreiung erinnert und für den Frieden gebetet werden. An den Gottesdienst schließt sich eine Feierstunde mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer an.