Pilgerbegleitung als Berufung

Frühmorgens liegt noch Tau auf den Wiesen, der Atem ist sichtbar in der kühlen Luft. Elf Menschen stehen in Wanderschuhen am Waldrand – bereit, sich auf mehr einzulassen als nur eine gemeinsame Strecke.

An vier intensiven Wochenenden lernen die Teilnehmer*innen, wie man Menschen auf Pilgerwegen begleitet. Dabei wandern sie selbst ein Stück: durch die Natur, durch Gespräche, durch Stille und durch das eigene Innere.

Diese Wanderungen durch Feld und Wald werden zu Übungsfeldern für Achtsamkeit. Dabei spüren alle den wechselnden Boden unter ihren Füßen, sehen Sonnenstrahlen durch das Blätterdach tanzen und lauschen dem eigenen Atem. Sie öffnen sich für das, was die Natur erzählt – und für das, was in ihnen selbst zu klingen beginnt. Manchmal tauchen Antworten auf, ganz leise - auf Fragen, die sie schon lange begleiten.

Pilgern begeistert viele Menschen, weil es Entschleunigung, Naturerfahrung und Sinnsuche miteinander verbindet. Pilgern berührt, schafft Raum für neue Begegnungen mit anderen, mit Gott und mit sich selbst.

Das macht die Pilgerbegleitung so kostbar. Manchmal ruft es aber auch Unsicherheit hervor oder Fragen kommen plötzlich auf, dann ist es kostbar, jemanden an der Seite zu haben, der zuhört, mitgeht und Orientierung schenkt.

In einer Zeit, in der Kirchenräume sich leeren, wächst die Sehnsucht nach neuen Formen von Verbundenheit – mit sich selbst, mit der Welt, mit Gott. Es werden Orte gesucht, an denen Zuhören und Austausch möglich sind, wo Raum ist für Stille, Fragen und Begegnung. Aus dieser Sehnsucht heraus entstand die Idee, Menschen zu Pilgerbegleiter:innen auszubilden – um solche Räume im Gehen zu öffnen.

Die Qualifizierung dazu läuft über eine Kooperation zwischen dem Institut für kirchliche Fortbildung in Landau und dem Missionarisch Ökumenischen Dienst in Landau.

Geleitet wird die Ausbildung von Pfarrerin Daniela Körber, Referentin für Spiritualität und von Anja Bein vom MÖD, zuständig für u.a. Aus- und Fortbildung von Ehrenamtlichen.

„Draußen zu sein, in Bewegung zu sein macht resilienter, hilft gegen Stress und ist eine Anbindung an die Natur, an die Schöpfung und hat etwas mit Spiritualität zu tun“, so Daniela Körber.

Auch Anja Bein ist vom Pilgern tief berührt: „Mich fasziniert dieses Unterwegssein – mit mir selbst, mit anderen und mit Gott. Ich habe das Gefühl, dass Gott auf dem Weg wirklich mitgeht – und dass jede und jeder es spüren kann. Selbst wenn einem die Worte fehlen, geht man den Weg mit ihm.“

Die Qualifizierung zur Pilgerbegleitung ist weit mehr als ein Kurs – sie ist ein Weg, der mit jedem Schritt und jedem Atemzug tiefer führt.

Und in dieser intensiven gemeinsamen Zeit ist etwas Wertvolles gewachsen: ein eigenes Konzept, wie die Teilnehmenden künftig andere Menschen achtsam und einfühlsam auf dem Pilgerweg begleiten können.

So zum Beispiel Sabine und Nils Grützner. Jedes Jahr pilgern sie ein Stück auf dem französischen Jakobsweg – ihre Begeisterung für das Unterwegssein ist spürbar. Sabine Grützner hat bereits mehrere Pilgerwanderungen geleitet und möchte dieses Angebot weiter ausbauen. Ihr Mann Nils hat die Idee auf besondere Weise weitergedacht: Er entwickelt den „Geh-Danken-Gang“ – einen Friedensweg durch den Ort indem sie leben und der Menschen einlädt, achtsam zu gehen und an gewissen Standorten inne zu halten. Die Resonanz war überwältigend, so, dass er schon an eine Fortsetzung denkt.

Pfarrer Tilo Armbrust möchte das Pilgern an die Jugend heranführen – an seine Konfirmand*innen. Sein „Mini-Pilgerweg“, wie er es selbst nennt, enthält Rätsel- und Achtsamkeitsaufgaben, Wertschätzungsrituale und zum Abschluss ein Eis für alle.

Auch Maritta Schmidt und Gudrun Achenbach planen eine Pilgertagestour. Inspiriert wurden sie durch viele Gespräche im Freundes- und Bekanntenkreis – immer wieder fiel der Satz: „Das würde ich so gerne mal machen, aber ich weiß nicht, ob ich das schaffe.“ Gerade diese Mischung aus Neugier, Sehnsucht und Unsicherheit hat die beiden ermutigt. Sie möchten Menschen jeden Alters und mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen begleiten – und ihnen Mut machen, den ersten Schritt zu wagen.

Pilgern, das wurde allen Teilnehmenden deutlich, ist nicht einfach Gehen mit spirituellem Rahmenprogramm. Es ist eine Haltung.

Es ist das bewusste Wahrnehmen von allem, was uns umgibt – dem Duft feuchter Erde, dem Rascheln der Blätter, dem Rhythmus der eigenen Schritte.

Genau das hat Pfarrerin Helke Rothley schon vor vielen Jahren für sich entdeckt – auf einer Wanderung über die schottische Insel Iona. Die Verbindung aus eindrucksvoller Landschaft, spiritueller Tiefe und dem Einsatz für Gottes Schöpfung hat sie nachhaltig berührt – und lässt sie bis heute nicht mehr los und genau das möchte sie ihrer Pilgergruppe zukünftig vermitteln.

Die neuen Pilgerbegleiteri*nnen sind bereit, diesen Raum zu teilen - einen Raum, in dem Menschen sich selbst und Gott begegnen können.

Pilgern ist wie ein stilles Gebet mit den Füßen – jeder Schritt führt hinaus in die Welt und zugleich tiefer zu uns selbst.

Von Claudia Formella

Pilgermuschel als Wegweiser. Foto: pv/Schmidt

Unterwegs mit Herz, Gottes Geist und Sinn: Die neuen Pilgerbegleiter*innen. Foto: pv/Formella