Speyer (lk). Die Evangelische Kirche der Pfalz steht an einem Wendepunkt – und erhält unabhängige Orientierung: Der wissenschaftliche Beirat im Zuge des Transformationsprozesses hat heute auf der Frühjahrssynode seine „Orientierungshilfe für den Prio-Prozess“ vorgestellt. Darin fordert das interdisziplinäre Gremium einen grundlegenden Wandel: nicht nur der Strukturen, sondern auch des kirchlichen Selbstverständnisses. Die Synode berät derzeit über zehn Reformbausteine – von der Reduktion der Kirchenbezirke bis zur Neuordnung der Gemeindestrukturen.
Der wissenschaftliche Beirat bewertet die Eckpunktepapiere als wichtigen und überfälligen Schritt in Richtung einer handlungsfähigen, zukunftsoffenen Kirche. Die Vorschläge seien insgesamt analytisch gut begründet, theologisch verantwortbar und strukturell durchdacht und eine tragfähige Basis, um die notwendigen Transformationen gemeinsam zu gestalten. Sie zeugten von einem ernsthaften Willen zur Veränderung – und von der Einsicht, dass Stabilität in Zukunft nur durch Wandel zu sichern sei.
Zugleich weist das Gremium auf die Grenzen rein struktureller Maßnahmen hin: Ohne einen kulturellen Wandel im kirchlichen Selbstverständnis – etwa in Leitungsfragen, Beteiligungskultur und Kommunikation – könnten die beschlossenen Maßnahmen ihre Wirkung verfehlen oder gar Widerstand verstärken. Insgesamt sehen die Fachleute in den Eckpunkten jedoch eine tragfähige Basis, um die notwendigen Transformationen gemeinsam und mit Blick auf die kirchliche Sendung zu gestalten.
Was empfiehlt der Beirat konkret?
Das Gremium, dem unter anderem Expert*innen aus Theologie, Sozialwissenschaften und Organisationsentwicklung angehören, empfiehlt:
- Mut zur Priorisierung: Nicht alles lässt sich weiterführen. Statt der Illusion flächendeckender Vollversorgung braucht es klare Entscheidungen für das Wesentliche – Seelsorge, Bildung, Gemeinschaft, Diakonie.
- Teamorientierte Leitung: Kirchliches Leben soll weniger auf Einzelpersonen lasten. Leitung wird als kooperative Aufgabe gedacht – mit geteiltem Wissen, geteilter Verantwortung und gemeinsamer geistlicher Ausrichtung.
- Strukturelle Straffung: Die Reduktion auf vier Kirchenbezirke und eine deutliche Vereinfachung der Körperschaftsstruktur sind laut Beirat notwendig, um Ressourcen zu schonen und Freiräume für Gemeindearbeit zu schaffen. Die Zukunft liegt in größeren Einheiten mit lokal verankertem Engagement.
- Gemeinden als geistliche Basisorte: Auch bei größeren regionalen Einheiten bleibt die Gemeinde entscheidend – allerdings mit verändertem Rollenverständnis.
- Transparenz und Beteiligung: Vertrauen in den Wandel entsteht durch Kommunikation und echte Mitgestaltungsmöglichkeiten.
Ehrenamt als tragende Säule im Wandel
Im Reformprozess der Evangelischen Kirche der Pfalz spielt das Ehrenamt eine zentrale Rolle. Der wissenschaftliche Beirat unterstreicht in seiner Orientierungshilfe die Bedeutung ehrenamtlichen Engagements für eine lebendige, glaubwürdige und lokal verankerte Kirche. Gerade in Zeiten knapper werdender Ressourcen sei das Ehrenamt nicht als Ausfallbürge für wegfallende Hauptamtlichkeit zu verstehen, sondern als eigenständige, unverzichtbare Kraft kirchlicher Gestaltung. Um das Ehrenamt zukunftsfähig zu machen, empfiehlt der Beirat eine bessere strukturelle Unterstützung, klare Aufgabenprofile und eine Kultur der Wertschätzung. Ziel ist es, Ehrenamtliche zu entlasten, ihre Kompetenzen zu fördern und ihnen echte Mitgestaltung zu ermöglichen – als Teil einer kooperativen und geistlich geprägten Gemeindeleitung.
Gemeinde im Wandel: Was bleibt? Was muss sich ändern?
Im Mittelpunkt der Orientierungshilfe steht auch die Frage: Was ist heute Gemeinde? Das bisherige Leitbild – „Gemeinde vor Ort mit eigenem Pfarrer, Gemeindebrief und Kirchenchor“ – wird vom Beirat nicht verworfen, aber als nicht mehr flächendeckend tragfähig eingeschätzt.
Die Empfehlung: Gemeinden bleiben Orte gelebten Glaubens, aber nicht mehr alles muss überall stattfinden. Statt Uniformität braucht es Vielfalt – in Form, Umfang und Ausdruck. Kleine, engagierte Ortskirchengemeinden mit klarem Profil und starken Netzwerken können genauso Kirche sein wie größere regionale Zentren mit multiprofessionellen Teams.
„Gemeinde muss heute weniger Ort sein als Haltung“, heißt es im Papier. Eine Haltung, die Nähe ermöglicht, Teilhabe fördert und geistliche Gemeinschaft stiftet – analog, digital, mobil.
Dazu gehöre auch, loszulassen: nicht als Verlust, sondern als Chance zur Neuausrichtung. Gemeinden sollen entlastet werden – etwa durch geteilte Verwaltung und gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit – und sich stärker auf die geistlichen und sozialen Bedürfnisse der Menschen fokussieren können.
Unabhängig und kritisch-konstruktiv: Der wissenschaftliche Beirat
Die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats, darunter Expert*innen aus Theologie, Sozialwissenschaften, Ökonomie und Verwaltung, haben ihre Empfehlungen in einem über einjährigen Prozess entwickelt und in einer eigenen Präsentation vor der Synode vorgestellt.
Der wissenschaftliche Beirat wurde im Zuge des Prio-Prozesses berufen, arbeitet aber unabhängig von der Kirchenregierung. Seine Aufgabe: Entwicklungen einordnen, strategisch beraten, theologisch reflektieren – als kritischer Sparringspartner der Synode. Die „Orientierungshilfe“ ist ein Ergebnis intensiver eigener Analysen und versteht sich als Impuls für einen Kulturwandel in der Kirche.
Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst: „Der Beirat erinnert uns daran, dass Kirche nicht durch Strukturen lebt, sondern durch Vertrauen, Beziehung und Hoffnung. Genau das brauchen wir für diesen Weg der Erneuerung.“