Getauft wird im Freibad, die Jugendzentrale rückt direkt ans Dekanat, der Seniorenkreis trifft sich im Internet und Weihnachten geht’s in die Feuerwache. Der Kirchenbezirk Neustadt stellt sich neu auf. Mitten drin: Dekan Rummel.

Getauft wird im Freibad, die Jugendzentrale rückt direkt ans Dekanat, der Seniorenkreis trifft sich im Internet und Weihnachten geht’s in die Feuerwache. Der Kirchenbezirk Neustadt stellt sich neu auf. Mitten drin: Dekan Rummel. 

Auf dem Parkett glänzen wenige Möbel, antiker Tisch, moderne Kunst an den Wänden. Der Schreibtisch aktenfrei. Keine Frage: Der Mann dahinter ist digital unterwegs. Schnell und manchmal zu schnell. „Wo bleibt nur das Logo der Diakonie, nervig, ich warte seit Wochen darauf“, stöhnt Andreas Rummel, „bis zur Visitation wollte ich fertig sein“. Er sitzt in seinem Büro im Dekanat. Die runde Rummel-Brille wandert über den Bildschirm. „Allein mit dem Design der Schilder könnte ich Tage verbringen."

Kurz vor der Visitation, dem Besuch des Landeskirchenrats im Kirchenbezirk, der gerade beendet wurde, habe ich den Neustadter Dekan besucht. An diesem heißen Junitag schwitzt Rummel über dem Layout für neue Beschilderungen im Dekanat, das bald viel mehr sein soll als das. Aus einem Verwaltungsgebäude mit wechselnden Öffnungszeiten wird ein offenes Haus der Kirche. Ein Aushängeschild mitten in der Stadt. Samt QR-Codes an den Türen, die direkt dahin bringen sollen, wo einem geholfen wird. 

Seit rund zwei Jahren ist Andreas Rummel Dekan. Und das gern. „Wir sind super zusammen unterwegs. Auch wenn mir manches zu langsam geht. Wir müssen raus aus der Kirchenblase, dahin wo die Leute sind.“ Wie das in und um Neustadt gelingt? Antworten aus dem Gespräch mit einem, der viel vorhat. 

„Die Jugend soll mitten rein in die Kirche und in die Stadt."

Ich habe mit dem Jugendreferenten um eine Pizza gewettet, dass wir in einem Jahr umziehen: Die Jugendzentrale hierher neben das Dekanat. Mit Küche, Bar samt Zapfanlage, mit allem drum und dran. Manche glauben nicht, dass wir das schaffen, aber alle stehen dahinter, vom Bezirkskirchenrat bis zum Hausmeister. Alle packen mit an. Eine Jugendkirche bei uns im Bezirk wäre mein Traum. Wenn ich spinnen darf vielleicht die Pauluskirche in Haßloch oder die Martin-Luther-Kirche direkt in Neustadt. Moderne, offene Kirchen, mit Küche und mit den Öffis gut erreichbar. Junge Leute brauchen eigene Räume. Ich kann aber nur Ideen pflanzen, was davon auf fruchtbaren Boden fällt, ist eine andere Geschichte.

„Wir brauchen weniger Kirchenräume, aber dafür besondere."

Der Gebäudeprozess 2030 Räume für morgen ist überfällig, aber nicht einfach umzusetzen vor Ort. Oft geht man den letzten Schritt vor dem ersten, will möglichst schnell Gebäude loswerden und sparen. Aber ist es gut, alles gleich zu verscherbeln, Grund und Boden loszuwerden? Wir sollten auf dem Boden bleiben, Hektik rausnehmen und erstmal fragen: Welche Menschen benötigen welche Räume? Was soll dort stattfinden? Unsere Kirchendichte mit sechs Predigtstätten in Neustadt ist viel zu hoch, ebenso im Gäu. Dort haben wir zehn Dörfer mit sieben Kirchengebäuden. 

Es braucht Kreativität und kluge Ideen, um zu fragen, welche Räume geben wir auf und welche nutzen wir besser oder anders. Welche eignen sich Sommers oder Winters, welche als Gemeindetreff, als sozialer Treffpunkt im Quartier, auch gemeinsam mit anderen Trägern? Und natürlich brauchen wir auch weiterhin tolle Räume für Theater, Konzerte, Kultur. 

Jede Kirche hat ja ihre eigene Aura und Akustik. Der Schall der Stiftskirche ist ein anderer als der in der Alten Winziger Kirche, wo kleine Ensembles klasse zur Geltung kommen. Wir müssen endlich weg davon, dass jede Gemeinde ihr eigenes volles Programm bieten soll. Das gilt für Gottesdienste, für die Musik und für die Kultur. Wenn wir uns gut absprechen, können wir jeweils vor Ort andere Akzente setzen. 

„Wir können Kultur, machen aber viel alte Musik für alte Menschen."

Nach Corona und mit der Inflation ist es ja überall eng geworden, für die Kultur und auch für Kirche. Die Leute fragen: Was kann ich mir sparen? Spargel, Erdbeeren, Kirchensteuer oder Konzerte. Das merken wir auch. Vorverkäufe laufen schlechter, ob Konzert oder nicht, wird erst an der Abendkasse entschieden. Trotzdem haben wir etwa mit dem Neustadter Herbst ein erstklassiges Kulturangebot in der Region. Unser Bezirkskantor Simon Reichert ist ein Weltklasseorganist, hochspezialisiert auf alte Musik. 

Auch in Lambrecht oder andernorts gibt es hochkarätige Konzerte. Viel Klassik. Also gute alte Musik für alte Menschen - wie mich - und sicher auch für ein paar jüngere Begeisterte. Das heißt, unser klassisches Musikangebot ist spitze. Aber wir brauchen auch andere Formate, viel mehr Stilrichtungen, auch populäre Musik. Nicht jeder mag Bach und Co. Musik ist total wichtig, um Menschen anzurühren. Wir können damit nicht früh genug anfangen. Die Leiterin des Kinderchors Sarah Wiedmann kann sich kaum retten vor Kindern. Das gleiche gilt für den Bläsernachwuchs in Appenthal oder beim Gospelchor Groovitation. Das heißt, wir können und müssen auch junge Leute begeistern, gerade mit Musik. Da gibt´s noch was zu tun. 

„Raus aus der Kirche, rein ins Freibad oder zur Feuerwehr!" 

Ich mag gern andere ins Machen bringen und Dinge möglich machen. Das gelingt meistens. Die Menschen lassen sich mitnehmen, wenn wir als Kirche nach draußen gehen. Und es läuft immer gut, wenn wir persönlich einladen. Nicht erst in diesem Sommer, zum Tauffest der EKD, auch schon im letzten Jahr haben wir im Freibad getauft - diesmal auch am Helmbachweiher. Das war ein Erlebnis für viele Familien und genauso für mich. Ein Highlight war auch der Weihnachtsgottesdienst in der Feuerwache, unter dem Motto „tatü tata, der Retter ist da“. 

Ähnlich möchten wir 2024 mit einem ökumenischen Team die Friedensgebete wiederbeleben. Nicht in einem Kerzenwinkel in der Kirche. sondern an öffentlichen Plätzen, jeweils passend zum Thema. Etwa mitten auf dem Marktplatz zur Erinnerung an die Bücherverbrennung. Und apropos Ökumene, das bedeutet für mich auch: aufeinander zugehen und raus aus der eigenen Blase. Mehr miteinander statt übereinander reden.

Wir gründen gerade eine lokale ACK. Das heißt, eine Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen verschiedener Konfessionen, genauer 17 verschiedener, die sich doch auf eine Glaubens-Grundlage einigen konnten. Das ist eins meiner Herzensanliegen. Mit dieser Gruppe machen wir uns auf zur Landesgartenschau 2027 in Neustadt. Dort kann vielleicht ein besonderer Kraftort für die Kirche wachsen. 

„Und die Bildung nicht zu vergessen." 

Es freut mich, dass meine Kollegin Martina Horak-Werz mit einem Strauß an Ideen in der Erwachsenenbildung unterwegs ist. Da gibt es einiges. Gespräche am Abend über Ökologie oder Pazifismus, Liederabende mit Chansons oder auch „klick, wisch und weg“, eine Social-Media-Einführung für ältere Menschen. Das Bildungsnetzwerk Casimirianum ist ein Erprobungsraum der Landeskirche. Das Gute daran, es vernetzt sich, wie der Name sagt, mit Kulturträgern wie Gedenkstätten, NABU oder Friedensarbeit. Dadurch sind wir mittendrin im Leben der Stadt. 

„Kommunikation ist alles, Mails sind eine Seuche." 

Ich könnte auf E-Mails gern verzichten, ich telefoniere viel lieber oder rede direkt. Im Gespräch kommt man viel schneller zueinander. Der Gesprächsbedarf in all den Umbrüchen und nach Corona hat sich enorm erhöht im Kollegenkreis. Ich sehe mich eher als Seelsorger denn als Vorgesetzter. Meine Rolle ist es, zu vermitteln, zu beraten, zu coachen. Belastungen abzufangen, Überlastungen zu vermeiden. Ich war ja selbst lange genug Gemeindepfarrer und predige immer noch gern. Das hat sich auch mit dem Dekansamt im Wandel nicht gewandelt. Ohne Gemeindeanbindung, das ist nichts für mich. Bei aller Belastung möchte ich den Kontakt und den Dienst in der Stiftskirche und anderen Gemeinden nicht missen. 

„Manches geht mir zu langsam, ich bin oft zu ungeduldig für diese Landeskirche."

Wir haben im Kirchenbezirk einige weitere Ideen, nah bei den Leuten zu sein. Aber es gibt auch heftige Widerstände, das Festhalten am Alten, auch im Landeskirchenrat. Und – das Neue braucht seine Zeit. Wenn der Tag zu voll war, fahre ich abends nicht mit dem Bus, sondern radle eine Dreiviertelstunde heim nach Gommersheim. Wenn ich dann im Pfarrgarten den Rasen mähe, heißt es: „Oh, das machen Sie selbst?“ Weil ich doch Dekan bin und anderes zu tun habe. Und schon sind wir im Gespräch darüber, was jeder so tut. Drum liebe ich das Dorfleben, es holt mich wieder runter. Aber das Gras wächst manchmal schneller als Reformen in der Kirche. 

ZUR PERSON 

Sieben Jahre lang, ab 2014, war der heute 57jährige Andreas Rummel persönlicher Referent des Kirchenpräsidenten Christian Schad, übergangsweise auch zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Landeskirche. Zuvor teilte er sich 18 Jahre lang mit seiner Frau Ute-Stoll-Rummel die Pfarrstelle in Miesau im Kirchenbezirk Homburg, wo er auch beauftragt war in Sachen Fundraising und Umweltschutz. 

"Das Leben im Dorf, das gefällt uns bis heute, es war ideal für uns mit den drei Kindern.“ Auch wenn diese inzwischen - bis auf einen Sohn – mehr oder weniger ausgezogen sind, zog es die kleine Familie erneut aufs Land. Rummels leben inzwischen in Gommersheim, wo Ehefrau Ute Pfarrerin ist und gern augenzwinkernd sagt: „Der Dekan darf bei mir wohnen - und Rasen mähen."

Autorin: Mechthild Werner, Kommunikation&Presse

Speyer, 11.07.2023

Kein Talarmuffel: Andreas Rummel (Foto: privat)

Kein Talarmuffel: Andreas Rummel (Foto: privat)