Brisante Themen: "Unsere Kirche hat Menschen Gewalt angetan." "Der Frieden wird mit Füßen getreten." "Wir müssen aufstehen für Demokratie!." Zum Auftakt der Frühjahrstagung der Landessynode legt Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst ihren Bericht vor.
Bad Dürkheim (lk). In ihrem dreiteiligen Bericht lenkt die pfälzische Kirchenpräsidentin den „Blick in die Welt, die Gesellschaft, die Kirche“. Krieg und Flucht, Antisemitismus und Gefährdung der Demokratie sowie die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt seien die großen Herausforderungen unserer Zeit. Dorothee Wüst fand vor der Landessynode klare Worte. Sie plädierte leidenschaftlich dafür, nicht in Furcht zu erstarren, sondern sich einzumischen.
Im Hinblick auf Kriege in der Ukraine und in Nahost sagte Wüst: „Selbst wenn der Frieden an allen Ecken und Enden dieser Welt mit Füßen getreten wird, darf uns als Kirche nichts abbringen von der Idee eines Friedens, der wir folgen.“ Die heikle Aufgabe der Kirche gegenüber Israel und Palästina sei es, „parteilich zu sein für die, die auf beiden Seiten leiden, jedwede Initiative zu unterstützen, die Frieden im Sinn hat.“
Gesprächskultur: „Ohne Empörungstonalität!“
Angesichts von Antisemitismus und Rassismus betonte sie die Menschenwürde, die in der Bibel grundlegend sei und die das 75 Jahre alte Grundgesetz garantiere. „Gott hat alle Menschen zu seinem Ebenbild erschaffen. Ebenbilder verschiedener Klassen sind nicht zu rechtfertigen. Rasse, Kultur, Nationalität, religiöse Zugehörigkeit, geschlechtliche Orientierung unterscheiden uns in der Art, wie wir leben, aber nicht in der Würde.“
Es sei konsequent, „wenn wir uns als christliche Kirchen in großer Geschlossenheit gegen alle politischen Strömungen positionieren, die Menschen unterschiedliche Dignität geben“, sagte die Kirchenpräsidentin weiter. Zudem sei es Aufgabe der Kirche, gegen die herrschende „Empörungstonalität“ die demokratische Gesprächskultur zu fördern. Die Evangelische Kirche der Pfalz stehe gemeinsam mit dem Bistum Speyer mit der Kampagne „Aufstehen für!“ öffentlich sichtbar für die Demokratie ein.
Sexualisierte Gewalt: „Es gibt noch viel zu tun.“
Das Thema sexualisierte Gewalt ist für Dorothee Wüst unbedingt und unablässig in „jedem Arbeitsfeld der Kirche“ eine Aufgabe; kein Raum sei „safe space“. Die Kirchenpräsidentin mahnte: „In unserer Kirche ist Unrecht geschehen, wurde Menschen Gewalt angetan. In unserer Kirche wurde Menschen kein Gehör geschenkt und die Glaubwürdigkeit abgesprochen.“ Die im Januar veröffentlichte ForuM-Studie habe gezeigt, dass „der Umgang der Institution mit betroffenen Personen genauso bedrückend wie die Taten selbst“ seien.
Wüst verwies auf das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt auf Ebene der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie Deutschland. Die pfälzische Kirchenpräsidentin ist Sprecherin der Kirchen in diesem Forum. Daneben werde die unabhängige Regionale Aufarbeitungskommission (URAK) im Frühjahr 2025 ihre Arbeit aufnehmen. Die URAK wurde gemeinsam von der pfälzischen und badischen Landeskirche sowie den Diakonischen Werken gegründet.
Ein erster Schritt für die regionale Aufarbeitung sei ein weiteres „Forum für Betroffene“, das sich am 16. Juni in Mannheim zum zweiten Mal treffen und Anfang 2025 die Arbeit aufnehmen wird. Die Kommission wird besetzt mit Betroffenen, mit Mitgliedern aus Kirche und Diakonie sowie Fachleuten mit juristischer oder therapeutischer Expertise, die von den Landesregierungen benannt werden.
Die Kirchenpräsidentin berichtete über die weiteren Maßnahmen der Landeskirche: Bereits 2019 wurde die Unabhängige Anerkennungskommission gegründet, bei der sich bisher zehn Personen gemeldet haben. Neun Fälle wurden bereits bewilligt, einer ist in Bearbeitung. Anerkennungsleistungen wurden zwischen 5.000 und 25.000 Euro gezahlt, bisher in einer Gesamthöhe von 97.000.
Seit 2020 bis heute sind 34 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ausgebildet worden. Sie entwickeln gemeinsam mit Einrichtungen und Gemeinden Schutzkonzepte. „Zwischenzeitlich hat die Kirchenregierung eine weitere Stelle genehmigt, die es uns ermöglicht, nach den Kindertagesstätten nun forciert auch die Kirchengemeinden in den Blick zu nehmen“, sagte Wüst. Bisher wurden Personen in 92 Kitas geschult, 15 weitere befinden sich im Prozess.
Drei Kirchengemeinden arbeiten bislang an einem Schutzkonzept, weitere haben Interesse angemeldet. „Hier ist definitiv noch sehr viel zu tun“, appellierte Wüst, das Problem müsse mit Kirchenbasis und Kirchleitung gemeinsam gelöst werden, „ohne den schwarzen Peter den anderen zuzuschieben“.
Ausblick: „Wir sind Kirche, wenn wir Kirche für andere sind.“
„Fürchtet euch nicht“. Mit dem Mutmachwort des Mose an das Volk Israel in Ägypten richtete Kirchenpräsidentin Wüst den Blick in die Zukunft. Es brauche in den anstehenden Transformationen mutige Entscheidungen, um die Weichen stellen: für künftige Generationen, für eine zukünftige Kirche. „Die Tauffeste des letzten Sommers mit ihrer großartigen Resonanz waren ein gutes Beispiel dafür, dass wir Kirche sind, wenn wir es für andere sind“, so die Kirchenpräsidentin. Das Philippus-Projekt, das Kirchenmitglieder auf dem Lebensweg begleitet, etwa mit einem Gruß zum Geburtstag, zur Trauung oder bei der Geburt eines Kindes, habe seit letztem Jahr in den Projektgemeinden „gut Fahrt aufgenommen“. Seit Frühjahr sei zudem das Segensbüro blessed an den Start gegangen, etwa mit Pop-Up-Trauungen auf dem diesjährigen Bad Dürkheimer Wurstmarkt. Hier sei ebenfalls die Resonanz sehr gut, es zeige sich, „dass es auch anders geht.“ Die Kirche müsse ihre Komfortzonen verlassen und sich nicht nur mit sich selbst beschäftigen.
Am Nachmittag steht ein neues Seelsorgekonzept zur Abstimmung auf der Tagesordnung.
Hintergrund
Es ist die siebte Tagung der 13. Landessynode, die von 2021 bis 2026 gewählt ist. Die Landessynode der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) ist die kirchliche Volksvertretung.
Damit hat sie die Kirchengewalt inne. Sie trifft wesentliche Entscheidungen in geistlichen, rechtlichen und finanziellen Belangen der Landeskirche. Die Amtszeit einer Synode beträgt sechs Jahre. Ihr gehören 57 Mitglieder an. Das Präsidium bilden Synodalpräsident Hermann Lorenz, Synodalvizepräsident Joachim Schäfer und als zweite Synodalvizepräsidentin Christine Schöps.
Die Tagung der Landessynode ist öffentlich und wird auch live übertragen: www.youtube.com/@evkirchepfalz