Es ist keine Woche her, da hat mein jüngerer Sohn freudig gesagt: „Bald ist wieder Halloween!“ Ich habe ihn dann gefragt, ob er denn wisse, was am 31. Oktober noch gefeiert wird. Antwort: Reformationstag. Na immerhin, habe ich gedacht. Aber trotzdem muss man wohl festhalten, dass der Reformationstag das Rennen gegen Halloween verloren hat. Zumindest, was die Popularität angeht, und zumindest in der Altersgruppe der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen – wohlwollend ausgedrückt. Während der Reformationstag ein eher trockenes, langweiliges Image hat, erfreut sich Halloween großer Beliebtheit. Ist das schlimm? Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Ekkehart Vetter, meint: Ja! Er sieht in Halloween sogar eine Gefahr. Der evangelikale Theologe sagt:
"Wer immer hinter diesem heute konsumorientierten US-Import nur harmlosen Gruselspaß sieht, sollte wissen, dass dahinter ein heidnischer Brauch und die Tradition des Totenkults steckt!"
Heidnischer Brauch?
Was in diesem kurzen Zitat vor allem zum Ausdruck kommt, ist eine in kirchlichen Kreisen oft typische Sichtweise: Der Reformationstag und Halloween stehen in Konkurrenz zueinander.
Und Ekkehart Vetter liefert den Grund für diese Sichtweise gleich mit. Er spricht von Halloween als einem heidnischen Brauch. So wie Vetter sehen es nicht wenige Menschen. Halloween ist für manche gar so eine Art heidnisches Fest par excellence. Völlig frei von christlichen bzw. kirchlichen Wurzeln und stattdessen allein begründet im keltischen Samhain (sprich: Sauwen)-Fest. Die Schriftstellerin Monika Dockter schreibt dazu:
„Die Nacht zum 1. November bedeutete bei den Kelten die Grenze zum Winter und damit zur dunklen Jahreszeit. Auch die Grenze zur Anderswelt, zur Totenwelt, war in jener Nacht besonders durchlässig. So glaubten sie, dass sich die Hügel der Feen öffnen und dieselben den Menschen erscheinen konnten. Unter den „Feen“ verstanden die Kelten dabei die Repräsentanten der Vorzeit, die in den uralten Grabhügeln wohnten. Die Seelen der Toten waren mit ihnen verbunden. Zu Samhain (…) also öffneten sich die Tore zur Unterwelt und ihre Bewohner erschienen den Lebenden, um sich mit ihnen zu verbinden.“
Das klingt dem, was wir heute mit Halloween assoziieren, zugegebenermaßen schon ähnlich. Aber ist das ein Beweis dafür, dass Halloween ein keltisches, sprich: heidnisches Fest ist?
Nein, sagt der 2023 verstorbene Völkerkundler Prof. Alois Döring aus Bonn. Er erteilt den Theorien, die in Halloween ein heidnisches Fest sehen, eine klare Absage:
„Alles Unsinn. Nie haben die Kelten den 31. Oktober als Tag des Totenkults begangen. Dafür gibt es keinerlei Beweise. In Wahrheit ist Halloween christlichen Ursprung und leitet sich ab vom "All Hallows Evening", vom Allerheiligen-Tag, den Papst Gregor im Jahr 835 auf den 1. November gelegt hat. Also christlich-katholisch, wenn auch nicht christlich-evangelisch. Auf jeden Fall ist es der christliche Kalender gewesen, der dem Fest seinen Namen gab und auch sein Thema, das Gedenken an die Toten.“
Ähnlich sieht es der Theologe und Anglist Rainer Beel:
„Die Menschen im mittelalterlichen England und auch in anderen katholischen Ländern glaubten, dass über Allerheiligen und Allerseelen die Toten noch einmal für zwei oder drei Tage aus dem Fegefeuer zurückkehren würden, um ihre Angehörigen um Fürbitte zu ersuchen. Früher begann der neue Tag nicht Punkt Mitternacht, sondern abends.Vom Mittelalter bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts gibt es kein Anzeichen dafür, dass man in Halloween etwas anderes sah als den Abend, an dem die Glocken den Gedenktag der Heiligen einläuteten. Erst danach, mit der Romantik, traten Geister, Hexen und Feen auf den Plan. Heute ist Halloween ein Fest der Phantasie.“
Mit Rübenlaterne durch die Finsternis
Und ich ergänze: Halloween ist auch ein Fest der Kürbisse. Zumindest ist der Brauch, einen Kürbis auszuhöhlen und eine Kerze darin zu platzieren der wohl bekannteste in Bezug auf Halloween. Diese Tradition geht zurück auf die Legende von Jack o´Lantern, zu deutsch: Jack mit der Laterne, der weder Eingang in den Himmel noch in die Hölle fand, seinen Weg durch die ewige Dunkelheit mit einem Stückchen Kohle in einer ausgehölten Rübe erleuchtete und seither symbolisch für alle ruhelosen Seelen steht.
Aus der Rübe wurde schließlich ein Kürbis, als diese Tradition nach Amerika gekommen ist. In Folge der großen Hungersnot auf der grünen Insel Mitte des 19. Jahrhunderts sind viele Iren nach Nordamerika ausgewandert und mit ihnen auch das Halloween-Fest und seine Bräuche. In Amerika gab es zwar nicht so viele Rüben, dafür aber prächtige Kürbisse, die man viel besser aushöhlen und mit witzigen Fratzen verzieren konnte.
Süßes oder Saures
Der zweite Brauch, den viele Menschen heutzutage mit Halloween verbinden, ist der des von Haus-Zu-Haus-Gehens, um Süßigkeiten von den Bewohnern zu erpressen. Der Ruf „trick or treat“ bzw. auf Deutsch „Süßes oder Saures“ droht dabei an: Entweder Ihr gebt uns was zu Naschen oder wir spielen Euch einen Streich. Ein Brauch, der eine lange Tradition hat. Er geht im Kern zurück auf die sogenannten „Heischegänge“, auf denen Besitzlose von Tür zu Tür wanderten und um "Seelenkuchen" baten.
Die heute bekannteste, kirchliche Form solcher Bittgänge für die Armen, ist das Sternsingen am Tag der Heiligen Drei Könige. Ganz frei von christlichen bzw. kirchlichen Einflüssen ist Halloween also sicher nicht. Ist es mit seiner Popularität nicht aber trotzdem eine Konkurrenz für den Reformationstag? Stellt es ihn und damit die Geburtsstunde der evangelischen Kirche nicht in den Schatten? Der Theologe André Kendel sieht das nicht so:
Von der Freiheit, Feste zu feiern
„Vieles von dem, was Kinder und Familien heute an Halloween feiern, ist durch die Reformation möglich beziehungsweise befördert geworden. Dass wir uns heute so frei entscheiden können, dass wir uns andere Kulturen und Sitten zu eigen machen, hat viel mit dem zu tun, dass die Reformation den Menschen in den Mittelpunkt gerückt hat und sein Recht auf Bildung. Die Reformationsbewegungen haben diese Freiheit heute ermöglicht. Das finde ich ist ein Fest wert! Und es steht jedem frei, das mit oder ohne Gruseln zu feiern.“
Und auch Ulric Ritzer-Sachs von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung sieht keine Konkurrenz für den Reformationstag durch das Halloween-Fest:
„Dass Halloween eine Art Verdrängungsfest ist, sehe ich nicht so. Es kommt einfach ein weiteres Fest zu schon bestehenden Bräuchen, Feiertagen oder Traditionen hinzu«, sagte er. Zum Kommerzialisierungsvorwurf sagte Ritzer-Sachs: »Der gleiche Vorwurf trifft auf Weihnachten zu, auf Ostern, Muttertag, Valentinstag, auf alle möglichen Feste und Anlässe. Jeder muss selbst wissen, inwieweit er da mitmacht.“
Apropos Ostern und Weihnachten – diese beiden größten Feste im Kirchenjahr sind gute Beispiel dafür, dass die Kirche schon an anderer Stelle fremde Feste adaptiert und in die eigene Tradition eingebettet hat.
Aber damit hier keine Missverständnisse entstehen: Halloween muss bzw. soll kein christlicher Feiertag werden. Aber die Frage, ob man das Fest als Christ, noch dazu als evangelischer, mitfeiern darf, stellt sich trotzdem. Antwort: Ja, durchaus. Meint zumindest Landespfarrer Andrew Schäfer, vom Landespfarramt für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche im Rheinland:
„Die Frage, ob Halloween von Christen gefeiert werden kann oder nicht, ist eher eine Frage der Art, wie Paulus sie stellt (Röm 14): Kann ich als Christ Fleisch essen, das aus den Tempelopfern stammt, wenn es mir von meinem Gastgeber angeboten wird oder wenn ich es auf dem Markt einkaufe? Paulus beantwortet bekanntlich, dass man als Christ alle Freiheiten habe, solches Fleisch zu essen, dass diese Freiheit nur durch die Liebe eingeschränkt sei - z. B. durch die Liebe zu den Mitchristen, die Bedenken haben. Ob ich Halloween also feiere, ist eine Frage der Verantwortung gegenüber den beteiligten Menschen, Kindern wie Erwachsenen. Ist es ein fantasievolles Spiel oder ist es ein Anlass, dümmliche Gruseleffekte zu inszenieren, die den Kindern Angst machen? Ist es nur wieder neuer Kommerz oder ist es ein fröhliches, kreatives Fest? Entscheiden Sie selbst!“
Gemeinschaftlich „auf den Putz hauen“
Der ehemalige Citykirchenpfarrer in Wiesbaden und Frankfurt, Dr. Jeffrey Myers, sieht es ähnlich. Der gebürtige US-Amerikaner macht die theologischen Gedanken seines Kollegen ein wenig konkreter.
„Nicht umsonst gehört das Kinderfest „Halloween“ zu den schönsten Kindheitserinnerungen eines Amerikaners. Weder Kommerz noch Konsum, weder Grusel noch Grauen müssen im Mittelpunkt des Festes stehen. Als Kinderfest trägt Halloween Licht in die dunklen Herbsttage hinein. Aus dem ausgehöhlten, leuchtenden Kürbis kann eine gesunde Kürbissuppe oder eine leckere Kürbistorte werden. Ob beim Kürbisschnitzen in der Familie oder beim beliebten “Trick-or-Treat”-Rundgang im Kreis der Freunde am Abend, stiftet das Kinderfest Halloween
Gemeinschaft. Halloween lädt ein, den Zusammenhang mit Allerheiligen und dem Reformationsfest zu entdecken sowie über den Umgang mit Angst und Tod nachzudenken. Dabei sind Grusel und Schrecken nicht erforderlich. Das Fest Halloween erfüllt das uralte Bedürfnis, noch einmal “auf den Putz zu hauen” vor dem kommenden Winter. Durch die Auseinandersetzung mit Halloween wird man sich der “dunklen” Seiten des Festes und somit des Lebens bewusster: Grusel und Gewalt, Kommerz und Konsum. Diese rufen wiederum nach der Orientierung und der Geborgenheit, die ein fester Glaube gibt. Vor Konsumterror und oberflächlichem Spaß erscheinen die Anliegen der Reformation aktueller denn je. Und last but certainly not least: Halloween hilft gegen ein verfrühtes Weihnachtsfest. Im Goldenen Oktober freut man sich viel mehr, eine lächelnde Kürbisfratze statt eines blinkenden Weihnachtsbaumes im Schaufenster zu sehen.“
Freiglauben statt freikaufen
Wichtiger als diese pragmatischen Vorteile, die Jeffrey Myers sieht, sind für Kirchenrätin Sabine Kast-Streib aus Karlsruhe aber die inhaltlichen Parallelen zu bewerten, die es gibt zwischen Halloween auf der einen und der Reformation bzw. Luthers reformatorischer Erkenntnis auf der anderen Seite. Die Kirchenrätin der Evangelischen Kirche in Baden führt aus:
„Auch zu Luthers Zeiten ging es um Geister, Tod und Teufel. Und um die Angst vor einem Gott, der einem die Himmelstür versperrt. Die lebenswichtige Frage, die die Menschen damals bewegte, war: Wie können wir Gott gnädig stimmen, dass wir der Hölle und dem Teufel entgehen? Was müssen wir tun, damit wir nicht von bösen Mächten beherrscht werden?“
In der Antwort auf diese Fragen gibt es freilich Unterschiede, die es keinem Christen verbieten, Halloween zu feiern, die aber auch nicht unter den Tisch gekehrt werden sollen. Sabine Kast-Streib weiter:
„Die Antwort von Halloween lautet: Das Böse durch das Spiel mit dem Bösen austreiben. Durch das Spiel mit dem Angsterregenden der Angst ins schreckliche Gesicht schauen und durch Geisterfratze, Totenmaske und Kürbislicht die Nacht und den Tod (scheinbar) beherrschbarer machen. Die Antwort der Kirche zur Zeit Luthers lautete: Sich freikaufen vom Bösen, von Tod und Teufel, durch „gute Werke“ und Ablassbriefe. Wer einen Ablassbrief kaufte, dem waren die schlechten Taten vergessen und vergeben. Und je nach Höhe des eingezahlten Betrags konnte man sich damit auch gleich von der Hölle freikaufen.
Und wie lautet Martin Luthers Antwort? Lange hatte er sich mit der Frage gequält: „Was muss ich tun, damit Gott mir sündigem Menschen gnädig ist?“ Er fastete und betete, studierte die Bibel und kasteite seinen Körper – aber sicher war er nie, ob er genug getan hatte, um Gott gnädig zu stimmen. Bis er in der Bibel die Erkenntnis fand: Allein aus Glauben werden wir gerecht vor Gott. Wenn wir Jesus Christus vertrauen, dann müssen wir uns nicht mehr freikaufen. Wir müssen uns nur „freiglauben“:
Diese Erkenntnis war für Martin Luther wie ein Licht in dunkler Nacht. Und bis heute gibt sie vielen Menschen Kraft zum Leben und im Sterben: Niemand muss sich Gottes Gnade verdienen. Er kennt mich, auch meine Schatten- und Nachtseiten. Ich muss ihm und mir nichts vormachen. So, wie ich bin, darf ich zu ihm kommen und alles, was mich quält und belastet in seine Hände legen: Er nimmt es von mir.
Egal, ob Sie Halloween feiern oder nicht und egal, welcher Weltanschauung Sie angehören – ich wünsche Ihnen einen schönen Reformationstag.
Pfarrer Dejan Vilov, Privatfunkbeauftragter der Kirchen in Rheinland-Pfalz