Was erwarten Menschen noch von der Kirche? Und was erwartet die Kirche in den kommenden Jahren? Die Landessynode beschäftigte sich mit Zukunfts-Perspektiven.

Was erwarten Menschen noch von der Kirche? Und was erwartet die Kirche in den kommenden Jahren? Die Landessynode beschäftigte sich mit Zukunfts-Perspektiven. 

Kaiserslautern, Speyer (lk) Rückblicke ins vergangene Jahr und Ausblicke in die Zukunft: Am dritten Tag der Landessynode der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) standen der Bericht der Kirchenpräsidentin, zwei Projekte zur Mitgliederkommunikation und ein zukunftsfähiges Bildungskonzept auf der Tagesordnung. Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst stellte ihren Bericht unter das Jahresmotto der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) "Du bist ein Gott, der mich sieht" (1. Mose 16,13).

Sehen und gesehen werden 

"Wie wir die Welt sehen und wie die Welt uns sieht, spielt eine Rolle in all dem, was wir als Kirche tun. Wir brauchen Weitblick und Perspektive", sagte die Kirchenpräsidentin am heutigen Freitag (12. Mai) in Kaiserslautern. Sie begegne häufig Menschen, besonders jüngeren Leuten, die sich von der Kirche nicht gesehen fühlen. Andererseits habe Kirche Menschen im Blick, die oft übersehen werden: "Wir sind eine Gemeinschaft, die ein Auge dafür hat, wo es fehlt in einer Gesellschaft - die sieht und handelt. Das können wir als diakonische Kirche."

Angesichts von Inflation, Energiekrise und verschärfter Armut sei es vordringlich, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, ihr Leid zu sehen und abzumildern. Eine Million Euro aus einem Fonds beim Diakonischen Werk wurde beispielsweise zur Verfügung gestellt, um Härten abzufangen und die Aktion #wärmewinter zu unterstützen. 

Hinsehen und helfen

Aus diesem Härtefallfonds sind etwa 212.000 Euro zwischenzeitlich über die Sozial- und Lebensberatungsstellen abgerufen worden, weitere 26.700 Euro über Projekte. Der Kinderhilfsfonds wurde um 50.000 Euro aufgestockt, erläuterte Dorothee Wüst. 12.000 Euro sind daraus bereits geflossen – vor allem für Familien, die das Essen in der Kita nicht mehr bezahlen konnten. Auch der Krieg in der Ukraine fordere die Landeskirche weiterhin heraus. Derzeit leben etwa 45.000 Geflüchtete in Rheinland-Pfalz, die auch durch viele Kirchengemeinden unterstützt werden. Zudem wird weiter um eine friedensethische Position gerungen.

Auch das Thema sexualisierte Gewalt sei weiterhin eine dringliche Aufgabe. Das Vertrauen in den Schutzraum Kirche sei erschüttert, sagte Dorothee Wüst und zählte Fakten auf. Seit 1947 sind im Bereich der Landeskirche bis heute 44 Fälle bekannt geworden - von übergriffigem Verhalten bis hin zu strafrechtlich relevanten Taten. An die ab 2010 eingerichtete unabhängige Kommission sind neun Fälle herangetragen worden. Wüst betonte: "Jeder Fall ist einer zu viel. Es ist in unserem ureigenen Interesse, sexualisierte Gewalt als ein kirchliches Kernthema zu verstehen." Es sei nichts weniger als eine "aktuelle kirchliche Gretchenfrage". Die pfälzische Kirchenpräsidentin ist seit Dezember 2022 Sprecherin im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

In die Zukunft schauen

"Das Wort ‚Zukunft‘ birgt für viele angesichts der kirchlichen Zahlen und Meldungen dieser Zeit wenig Verheißungsvolles. Und da gibt es auch nichts schön zu reden", sagte Wüst weiter. Die öffentliche Meinung unterscheide längst nicht mehr zwischen katholischer und evangelischer Kirche. Es sei darum umso entscheidender, die schlechten und guten Erfahrungen miteinander zu teilen und hoffnungsvoll in die Zukunft zu gehen.

Ökumenische Beziehungen und internationale Kontakte sorgten dafür, dass Kirche "über den Tellerrand schaut". Mit der katholischen Schwesterkirche gelte es, "unverdrossen protestantisch und zugleich unverdrossen ökumenisch" unterwegs zu sein, sagte Dorothee Wüst. Ihre Erfahrungen auf Reisen - zu Partnerkirchen in Papua oder Großbritannien - sowie Begegnungen auf der Ökumenischen Versammlung der Kirchen 2022 in Karlsruhe zeugten von einem "enorm lebendigen und fröhlichen Christentum".

Zum Ende ihres Berichts erinnerte die Kirchenpräsidentin an das Jahresmotto: "Du bist ein Gott, der mich sieht. Das ist ein Hoffnungswort, weil im Sehen Bewegung liegt hin zu den anderen."

Die Mitglieder im Blick

Anschließend wurden der Landessynode zwei Projekte vorgestellt, die sich direkt und niedrigschwellig an die Menschen wenden. Das Philippus-Projekt begleitet Kirchenmitglieder auf dem Lebensweg, etwa mit einem Gruß zum Geburtstag, zur Trauung oder bei der Geburt eines Kindes. Das geschieht über die Absender Kirchengemeinde, wird aber durch ein systematisch durchdachtes und digital gestütztes Konzept landeskirchlich begleitet.

Möglichst viele Altersstufen und Lebenssituationen werden dabei in den Blick genommen und hinterfragt: Über welche Form von Gruß freut sich ein 8-Jähriger oder eine 18-Jährige? Schrittweise werden Kontaktpunkte und Materialien erarbeitet. Die Gemeinden können selbst wählen, welche sie aufgreifen wollen. Benannt ist das Projekt zur Mitgliederkommunikation nach dem Missionar Philippus, der einem interessierten Menschen eine Bibelstelle erklärt und ihn spontan, ohne Vorbedingung tauft (Apostelgeschichte 8, 26-40).

Das Philippus-Projekt reagiert auf die Tatsache, dass der größte Teil der Kirchenmitglieder nicht über Angebote der Kirche erreicht wird. Gleichzeitig bleiben sie als Mitglied der Landeskirche verbunden und finanzieren sie über die Kirchensteuer mit. Diese Verbindung zu schätzen und zu pflegen, ist eine oft vernachlässigte Aufgabe. Die Idee für das Projekt stammt aus der Zusammenarbeit der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) mit der Hamburger Kommunikationsagentur Gobasil. Die pfälzische Landeskirche kooperiert mit beiden Partnern.

An den Übergängen des Lebens sind Halt und Segen gefragt. Unter dem Arbeitstitel Segensbüro sollen Menschen niedrigschwellig Segens-Angebote gemacht werden - unabhängig von Kirchenmitgliedschaft oder Gemeindezugehörigkeit. Ob Kinder- oder Paarsegnung, Segen in einer Trennungssituation oder im Trauerfall: Das Segensbüro soll persönlich zugeschnittene Rituale entwickeln oder vermitteln.

Zudem verabschiedete die Landessynode neue Leitlinien für die kirchliche Bildungsarbeit. Bildungsdezernent Oberkirchenrat Claus Müller erläuterte das Konzept. Stärker als zuvor sollen die moderne Lebenswelt und die Bedürfnisse der Menschen im Blick sein. Falschmeldungen, Verschwörungstheorien und Hassrede in den sozialen Netzwerken stellten neue Aufgaben für die Bildungsarbeit in Kirche und Gesellschaft dar.

Hintergrund

Die 13. Landessynode, die von 2021 bis 2026 gewählt ist, kommt vom 10. bis 13. Mai in Kaiserslautern zu ihrer fünften Tagung zusammen. Die Landessynode der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) ist die kirchliche Volksvertretung. Sie trifft wesentliche Entscheidungen in geistlichen, rechtlichen und finanziellen Belangen der Landeskirche.

Am morgigen Samstag, 13. Mai, steht die Aussprache über den Bericht der Kirchenpräsidentin auf der Tagesordnung. Daneben entscheiden die Synodalen über die Neureglung des Dekansamtes. 

Die Tagung wird live übertragen auf dem Youtube-Kanal der Protestantischen Landeskirche unter www.youtube.com/evkirchepfalz  

Dorothee Wüst. Foto: lk/View