Andrea Krauß ist Weltgebetstagsbeauftragte der pfälzischen Landeskirche. Im Interview spricht die Gemeindediakonin über das Engagement von Ehrenamtlichen, die Arbeit im Deutschen Weltgebetstagskomitee und Lehren aus der Diskussion um die Liturgie aus Palästina.

Frau Krauß, die Liturgie zum Weltgebetstag kommt dieses Jahr von den Cookinseln. Waren die Ihnen überhaupt ein Begriff vorher?
Andrea Krauß: Die Cookinseln waren mir schon als Südseeparadies bekannt. Sie waren mir eher ein Begriff als Vanuatu, wo ich mich 2020 gefragt habe: Wo liegt denn das? Aber sonst hatte ich mich mit ihnen noch nicht näher befasst.

Südseeparadies, das klingt gut …
A. K.: Ja, man liest das Motto „Wunderbar geschaffen“, sieht das tolle Titelbild und denkt, da würde ich gern mal Urlaub machen. Das Motto gibt den Fokus vor, aber trotzdem darf man auch Probleme nicht ausklinken.

Können Sie Beispiele nennen?
A. K.: Die nördlichen Inseln liegen nur ein paar Meter über dem ­Meeresspiegel. Man kann sich ausrechnen, was es bedeutet, wenn Salzwasser die Anbauflächen überflutet. Die Menschen überlegen bereits, was sie anderes anpflanzen könnten. Ein weiteres Thema ist die Tradition der Maori-Sprache, die früher verboten war durch die Kolonialmacht England. Es ist schwer, sie wieder zu integrieren in die Schulen. Erst seit 2003 ist sie wieder gleichberechtigte Sprache neben Englisch. Aber die Frage ist, wer kann das noch weitergeben?

Kommt das vor im Gottesdienst?
A. K.: Vieles ist zwischen den Zeilen zu lesen. Ein Thema kommt nicht vor. Die Cookinseln sind ein Land, in dem die sexualisierte Gewalt oder die häusliche Gewalt gegenüber Frauen sehr hoch ist. Aber die Frauen sagen: Schläge gehören zu unserer Tradition, das bleibt in der Familie, wir lösen das in der Familie.

War das schwer zu verstehen?
A. K.: Ja. Die Menschen dort sagen, Gewalt gehört zu unserem Leben. Auch bei uns hier hat es gedauert, das Thema zu thematisieren, wir sehen es aktuell. Das Christentum wiederum haben sie sehr positiv aufgenommen als befreiender, friedensstiftender Glaube, weil sich Stammesgruppen früher immer bekämpft haben. Sie feiern immer noch den Tag der Missionierung vor 200 Jahren.

Sie waren lange Gebetstagsteilnehmerin, bevor sie Beauftragte wurden. Was ist anders?
A. K.: Als Beauftragte sind wir gefragt, Netzwerke zu bilden, Teamerinnen auf dem neuesten Stand zu halten, Material zu sichten, wo Themen gut aufgearbeitet sind. Und ich merke jetzt noch mehr, was es heißt: Nach dem Weltgebetstag ist vor dem Weltgebetstag. Schließlich ist im November schon die ­Gottesdienstordnung für Nigeria verabschiedet worden.

Sie arbeiten auch im Deutschen ­Komitee des Weltgebetstags mit, was sind Ihre Aufgaben?
A. K.: Es geht unter anderem um die Gottesdienstordnung. Eine Gruppe übersetzt die jeweilige Liturgie vom Englischen ins Deutsche. Und dann schauen wir im Komitee beide Fassungen an und überlegen, was vielleicht noch einmal verändert werden müsste, bis wir die endgültige Fassung der deutschen Gottesdienstordnung haben. Es geht aber auch um die weltweite Projektarbeit, um Finanzen, um die Bundeswerkstätten und vieles mehr.

Gleich in Ihrem ersten Jahr als WGT-Beauftragte gab es nach dem Überfall der Hamas auf Israel Diskussionen um die Liturgie aus Palästina. Wie haben Sie das erlebt?
A. K.: Da kamen schon eine Menge kritische Stimmen. Monika Kreiner (Beauftragte des Bistums Speyer, Anmerkung der Redaktion) und ich haben uns mit Anfragen ­ab­gewechselt. Vor allem christlich-­jüdische Vereine haben uns vorgeworfen, die Liturgie sei einseitig.

Wie beurteilen Sie die letztlich geänderte Liturgie?
A. K.: Ich habe dahintergestanden. Man kann natürlich noch mal über bestimmte Formulierungen streiten. Was viele nicht übernommen haben, war eine Erläuterung zum Psalmgebet. Psalmen gehören in unsere Gottesdienste hier. Ich muss nicht begründen, warum das hier Raum bekommt, unsere Wurzeln liegen schließlich im Judentum. Jesus war Jude.

Haben Sie etwas dazugelernt beim Thema Krisenkommunikation?
A. K.: Ich glaube, das hat schon viele Teams gerüttelt, wo es Meinungsunterschiede gab. Aber dann wurde überlegt, was ist unsere gemeinsame Sache, wie kommen wir da mit ein paar Schrammen wieder raus? Manche haben ja auch Gottesdienste abgesagt in diesem Zusammenhang.

Hat das der Bewegung geschadet?
A. K.: Ich sehe, dass viele engagiert weitermachen. Aber es ist schon eine Wunde geblieben. Schließlich gab es viele öffentliche Angriffe vom Internationalen Komitee wegen der geänderten Gottesdienstordnung. Vielleicht muss man manches in der Diskussion irgendwann stehen lassen. Schließlich kann man auch Sachen zerreden oder es ganz kaputt machen. Mir hat bei einer Reise eine international erfahrene Weltgebetstags-Frau erzählt, was für ein zartes Pflänzchen das ist, die Weltgebetstags­bewegung. Um alle unter einen Hut zu kriegen, muss man einen Konsens finden. Beispielsweise zwischen liberalen und evangelikalen Gemeinden. Das ist ein schmaler Grat.

Gibt es Lerneffekte?
A. K.: Das, was in den Ländern passiert, schwappt über die Länder, die den Gottesdienst gestalten. Es kann nicht ganz außen vor bleiben. Man wird irgendwie auch zur Fürsprecherin, wenn wir Frauen ein Forum geben, dass sie erzählen können, wie es ihnen geht. Und dann kann man sich auch in die ­Nesseln setzen.

Themen wie Frauenrechte, Gewalt gegen Frauen, aber auch Klimawandel sind so im Vordergrund wie nie. Bekommen Sie dadurch auch als Weltgebetstag mehr Zulauf?
A. K.: Nein, das ist etwas, das wir für uns noch mehr nutzen müssten, weil viele gerade deshalb mitmachen. Aber es ist oft schwer, klarzumachen: Das ist nicht nur ein Gebet, nicht nur ein Gottesdienst, das ist hochpolitisch und gesellschaftlich brisant. Etwa die globale Verantwortung für den Klimawandel. Wir können ja nicht sagen, das interessiert uns nicht, wir sehen ja, was das für Auswirkungen hat.

Was machen Sie, um an die Menschen ranzukommen?
A. K.: Wir müssen uns anpassen. Für viele Frauen ist es nicht einfach, die Vorbereitungsseminare unter der Woche unter einen Hut zu kriegen. Und so viele Samstage haben wir nicht. Online-Seminare werden gut angenommen. Gerade Frauen aus kleineren Kirchen, beispielsweise bei den Mennoniten und Methodisten, wo sich viele ­Gemeinden umstrukturieren, sind dort eingebunden, weil niemand sonst da ist. Wir müssen die Frauen immer wieder persönlich ansprechen. Ich gehe auch auf Jugend­liche zu, könnte mir eine Veranstaltung für Konfirmandinnen und Konfirmanden vorstellen.

Geht Ehrenamtlichen die Luft aus?
A. K.: Klar kann man sagen, dass der Weltgebetstag eine ­Laienbewegung ist. Aber so, wie er bei uns in Deutschland aufgestellt ist, brauchen wir Hauptamtliche, die als Motor begleiten. Es wird immer mehr auf Ehrenamtliche abgeladen. Irgendwo hat das seine Grenzen, wenn wir wollen, dass das ein besonderer Gottesdienst wird. Und es ist ja was Besonderes, an einem Tag weltweit den gleichen Gottesdienst in verschiedenen Sprachen zu feiern und die, die noch nie etwas von den Cook­inseln gehört haben, mit ins Boot zu nehmen. 

Von Florian Riesterer 

Link zu Gottesdiensten in der Pfalz

Dieser Artikel ist zuerst im Evangelischen Gemeindeblatt für die Pfalz erschienen.

 

Andrea Krauß ist Weltgebetstagsbeauftragte der pfälzischen Landeskirche. Foto: Florian Riesterer