Pfälzische Kirchentagspräsidentin zu Gast beim ökumenischen Foyer Kirche und Recht in Karlsruhe

Karlsruhe. „Wie halten wir’s als Kirche mit der Macht?“, fragte Dorothee Wüst in ihrem Vortrag mit dem Titel „Auf schmalen Grat. Kirche im Spannungsfeld zwischen Macht und Ohnmacht.“ Die Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche der Pfalz sprach am Dienstag, 8. Juli, in Karlsruhe beim Jahresempfang des ökumenischen Foyers Kirche und Recht. Heike Springhart, Landesbischöfin der Evangelischen Landeskirche in Baden, und Stephan Burger, Erzbischof von Freiburg, hatten zu dieser Veranstaltung für das Bundesverfassungsgericht, den Bundesgerichtshof, die Bundesanwaltschaft und die Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof eingeladen.

In ihrem Vortrag appellierte die Theologin dafür, Macht in all ihren Facetten und die jeweils eigene Rolle bewusst wahr- und anzunehmen. Macht werde in der Kirche und der Gesellschaft in ihrer positiven Qualität als Gestaltungsmacht und Ordnungsmacht gerne ausgeblendet, weil sie viel stärker mit ihren destruktiven Folgen präsent sei.

Dabei besitze Kirche als Werteinstitution nach wie vor eine positive Wirkmacht. „Dass wir hier unsere Macht, unseren nach wie vor existierenden Einfluss ins Feld führen, ist aus dem demokratischen Lager mehr als gewünscht“, konstatierte die Kirchenpräsidentin, mahnte aber zugleich: „Wenn wir uns als Kirche glaubwürdig in gesellschaftliche Diskurse einbringen wollen, kann man erwarten, dass wir das auf dem Hintergrund eines in unseren Reihen geklärten Machtverständnisses und Machtverhaltens tun. Und da ist Nachholbedarf.“

Die Geschichte kirchlicher Macht sei bekanntermaßen auch eine Geschichte von Machtherrlichkeit, Machtmissbrauch und Machtversagen. „Spätestens seit der ForuM-Studie haben wir es als evangelische Kirche schwarz auf weiß, dass auch in unserem Raum Missbrauch in erheblichem Maße Realität ist und sich gleichfalls nicht reduzieren lässt auf schändliches Verhalten einzelner Tatpersonen. Dass Missbrauch auch durch systemische Faktoren begünstigt und vor allen Dingen innerhalb des Systems verschleiert wurde“, betonte Dorothee Wüst.

Die ForuM-Studie empfehle dringend den geschärften Blick auf Macht und Machtausübung und rate ebenso dringend zu einem Kulturwandel, in der Macht nicht zum Schutz der Institution, sondern zum Schutz von Menschen eingesetzt werde. „Dazu muss man sich aber erst ihrer bewusst werden und sein“, unterstrich Wüst. Kirche sei nicht nur Dienstgemeinschaft sind, sondern Machtgemeinschaft.

„Jeder und jede von uns, der oder die im weiteren und engeren Sinne zum Beziehungsgeflecht Kirche gehört, hat Anteil an Macht. Sowohl in ihrer weltlichen Gestalt im Sinne einer Organisationsform wie auch in ihrer geistlichen Qualität im Sinne einer Glaubensgemeinschaft. Und damit stehen wir in der Pflicht, uns ihrer bewusst zu sein und sie als Verantwortung wahrzunehmen.“

Wüst blickte auch auf die Machtasymmetrie in Gottesdiensten und beim seelsorgerischen Kontakt, im Bereich der Diakonie und in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. „Gerade im Zusammenhang unserer Aufarbeitung sexualisierter Gewalt berichten betroffene Personen immer wieder, wie sehr sie diese Machtasymmetrie spüren, wenn sie sich auf gottesdienstliches Handeln einlassen“, berichtete Wüst, die Mitglied im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt (BeFo) der EKD ist.

Kirche habe nicht nur eine Pflicht, sondern auch die Chance, in all diesen Fehlentwicklungen des Gestern und Heute ihre Macht zu nutzen, um ihre Macht zu hinterfragen und auf den Prüfstein zu stellen. Als gleichermaßen machtbewusste und machtsensible Institution. „Erst wer innerlich bereit ist, die Macht loszulassen, gewinnt Freiheit im Umgang mit ihr. Wer nicht fixiert ist auf das eigene Standing, ist in der Lage, andere ernsthaft in den Blick zu nehmen. Wer sich aufrichtig der ambivalenten Macht der Macht stellt, gewinnt einen souveränen und glaubwürdigen Umgang mit ihr. Das ist und bleibt die Aufgabe und Herausforderung“, so Wüst.

Ökumenisches Foyer Kirche und Recht in Karlsruhe (v. l.): Thomas Dietrich, Erzbischof Stephan Burger, Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst, Katarina Weilert, Prälatin Heide Reinhard und Generalbundesanwalt Jens Rommel. Foto: ekiba