Kaiserslautern (lk). Im Festgottesdienst zum Jubiläum „200 Jahre Pfälzer Kirchenunion“ am Sonntag in der Kaiserslauterer Stiftskirche hat der pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad Glaubwürdigkeit und eine „gemeinsame Wahrheitssuche im friedlichen Streit der Argumente“ angemahnt. Im Kampf um die Wahrheit, wie er gegenwärtig in der Gesellschaft ausgefochten werde, drohe die Freiheit zu zerbrechen und die Demokratie Schaden zu erleiden, sagte der Kirchenpräsident in seiner Predigt. Gerade Christen könnten jedoch dazu beitragen, dass strittige Wahrheiten nicht durch Macht und Verdrängung entschieden würden. „Die Wahrheit wird sich durchsetzen und sie wird frei machen. Denn was nicht wahr ist, macht auch nicht frei. Und was nicht frei macht, ist auch nicht wahr.“
In die Alltagssprache einsickernde Unwörter wie „Lügenpresse“ und „Asyltourismus“ sowie Hass-Kommentare in sozialen Medien seien nur die Spitze eines sprachlichen Eisberges, sagte der Kirchenpräsident. „Wir brauchen nicht noch mehr Leute, die auf Phon-Stärke vertrauen und auf laute Behauptungen. Wir brauchen Menschen, die sich auf Institutionen verlassen, die die Wahrheitsfindung ermöglichen: Unabhängige Gerichte und vielfältige Medien, Forschung in der Hand der Öffentlichkeit und umfassende Bildung für alle.“ Zur Grundüberzeugung der reformatorischen Tradition gehöre es, dass sich die Wahrheit des Evangeliums ohne Gewalt und ohne Zwang, allein durch die Überzeugungskraft des Wortes durchsetze. Auch die Union von 1818 sei nicht durch Druck einseitig von oben erlassen worden. „Sie kam zustande durch das glückliche Miteinander von oben und unten. Tatsächlich hat die frühe Demokratiebewegung in Deutschland hier kräftige Bundesgenossen gefunden“, so Schad, denn der Kirchenvereinigung lag eine Abstimmung der reformierten und lutherischen Haushaltsvorstände zugrunde. Auch seien die Begründer der Union die Protagonisten des Hambacher Festes 1832 gewesen. „Aus ihrem Glauben heraus setzten sie sich ein für Rede-, Presse- und Meinungsfreiheit.“
In Christus der Wahrheit begegnen
Statements von Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Gruppen verdeutlichten, wie komplex die Suche nach Wahrheit ist. Birgit Wahl-Becker beispielsweise, Lehrerin am Evangelischen Trifels-Gymnasium Annweiler, will ihre Schüler zu kritischem und mutigem Hinterfragen befähigen: „Traut euch, probiert es anders, wagt Neues und beachtet den Nächsten.“ Masoud Vafaei aus Kaiserslautern, Teilnehmer eines interkulturellen Lektorenkurses, ihn hat der Glaube zu einem Wahrheitssucher gemacht: „In Christus bin ich der Wahrheit begegnet. Ohne meinen Glauben könnte ich nicht leben – getrennt von meiner Familie.“ Als Junge habe er, der aus dem Iran kommt, zufällig eine Bibel gefunden, die seinem Großvater – ein Mullah – gehört habe. „Jetzt bin ich hier in Deutschland angekommen und durch meine Taufe Glied unserer Kirche geworden.“
Im Strafprozess gelte im Zweifelsfall diejenige Wahrheit, die den Angeklagten schütze, sagte der Präsident des Landgerichts Frankenthal, Harald Jenet. „Ich fälle ein Urteil und spreche Recht, auch wenn mir die tatsächliche Wahrheit oft verborgen bleibt.“ Der Journalist Hartmut Reitz trifft bei der Suche nach Wahrheit häufig auf offenes Misstrauen und auf Vorurteile. „Ich muss bei der Berichterstattung der Wahrheit möglichst nahe kommen. Das ist nicht immer einfach, aber immer mein Ziel. Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam die Wahrheit wieder achten und auf der Suche nach ihr bleiben“, sagte der Redaktionsleiter beim Südwestrundfunk Ludwigshafen.
Unter den Gottesdienstbesuchern mit Gästen aus Gesellschaft, Kirche und Politik begrüßte die Kaiserslauterer Dekanin Dorothee Wüst u.a. den Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann, den pfälzischen Synodalpräsidenten Herrmann Lorenz, Vertreter der britischen Partnerkirche URC (United Reformed Church), den saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans, den ehemaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck, den Bezirksverbandsvorsitzenden Theo Wieder und den Kaiserslauterer Oberbürgermeister Klaus Weichel. Die Liturgie wurde mitgestaltet von der Kaiserslauterer Schauspielerin und Musikerin Dagmar Kern. Landeskirchenmusikdirektor Jochen Steuerwald an der Orgel, der Westpfälzer Kammerchor und Mitglieder der Kammerphilharmonie Mannheim unter der Leitung von Bezirkskantorin Beate Stinski-Bergmann sowie das Pfälzische Bläserensemble unter der Leitung von Landesposaunenwart Christian Syperek gestalteten den Festgottesdienst musikalisch. Die Kollekte des Gottesdienstes kommt dem Bauverein der 800 Jahre alten, sanierungsbedürftigen Kaiserslauterer Stiftskirche zugute.
Hintergrund: 1818 vereinigten sich in Kaiserslautern die bis dahin getrennten reformierten und lutherischen Gemeinden der Pfalz zu einer gemeinsamen Kirche. Die Pfälzer Kirchenunion entstand, weil die Gemeinden es wollten, sie war eine Basisbewegung. Dies feiert die Evangelische Kirche der Pfalz mit einem Festwochenende vom 7. bis 9. September an den historischen Schauplätzen in Kaiserslautern.