Die Kirchentüren stehen offen, das Licht ist gedimmt und eine wohltuende Stille durchzieht den Raum. Die Yogamatten der Teilnehmenden bilden einen Halbkreis um den Altar. Ein herbstlicher Blumenstrauß in der Mitte deutet das Thema der heutigen Einheit an: Festhalten. „Letzte Woche haben wir uns mit dem Loslassen beschäftigt, heute denken wir über das Festhalten nach“, sagt Trötsch, bevor die Einheit beginnt. Ein gemeinsames „Shalom“ füllt die Stille, tief und klangvoll – die letzte Silbe, dem klassischen „Om“ des Yoga entlehnt, wird bewusst betont.
Für die Übungen, die Raphaela Trötsch mit Bedacht und Achtsamkeit anleitet, wird auf jede Teilnehmerin und jeden Teilnehmer individuell eingegangen. Niemand soll über seine Schmerzgrenze hinausgehen und jeder findet seinen eigenen Weg in die Dehn- und Atemübungen. In den Bewegungen sehen viele einen meditativen Zugang zu Gott. Die Übungen erinnern an einen sanften Sonnengruß, bei dem die Herzen „in den Himmel und zu Gott“ geöffnet werden, wie Trötsch betont. Die 47-jährige Pfarrerin, die bereits seit Jahren christliches Yoga praktiziert, vermittelt eine Mischung aus Körperbewusstsein und Glauben, die zum Innehalten und Reflektieren anregt.
Die Idee des christlichen Yoga trifft jedoch nicht überall auf Zustimmung. Kritiker, besonders aus konservativen Kreisen, stehen der Integration einer ursprünglich hinduistischen Praxis in die Kirche skeptisch gegenüber. Die Gemeinde in Landau sieht das anders: Für sie ist christliches Yoga ein neuer Weg, um die Menschen für den Glauben zu gewinnen und einzuladen. „Wir wollen eine ganzheitliche Verbindung zu Gott fördern“, erklärt Pfarrer Andreas Kuntz, der die Idee unterstützte und Trötsch nach einem gemeinsamen Seminar für die Durchführung der Kurse an die Johanneskirche holte.
Kuntz und die Johanneskirchengemeinde versuchen neue Wege zu finden, um den Kirchenraum lebendig zu gestalten. Ob in Form eines Erzählzelts oder eines Essens – der Kirchenraum wird regelmäßig neu interpretiert. Das Yoga-Angebot spricht Gemeindeglieder, aber auch Interessierte aus Nachbargemeinden und dem Kirchenbezirk an.
Yoga ist bekannt für seine vielen gesundheitlichen Vorteile: Es steigert die Beweglichkeit, stärkt die Muskulatur und lindert Stress. Im christlichen Yoga kommen zu diesen körperlichen Aspekten noch Gebet und Meditation hinzu, wodurch die Teilnehmenden einen ganzheitlichen Zugang zur Spiritualität finden.
Es werde jedoch nicht das Denkgerüst von religiösen Strömungen übernommen, sondern die Körperhaltungen, betont Trötsch. „Yoga kann eine Zeit der Selbstreflexion sein, ein Ort der inneren Einkehr und der körperlichen wie seelischen Stärkung“, sagt die Pfarrerin. Sie sieht christliches Yoga als eine Möglichkeit, den Glauben im Alltag spürbarer zu machen und eine Verbindung zu Gott aufzubauen, die durch die Bewegungen unterstützt wird.
Zurück zur Yogastunde: Dort lässt Raphaela Trötsch nun die Zeilen vom „Gebet im Herbst“ von Anne Helene Kratzert in die Übungen mit einfließen. „Gott ich will alles halten: meine Liebe, meine Traurigkeit, den Spalt im Herzen.“ Einatmen. Ausatmen. „Aber du schickst den Herbst.“ Einatmen. Ausatmen. „Lass mich nüchtern werden, kahl und golden! Lass mich von Gnade sprechen wie die vor mir und Gnade fühlen wie sie. Lass mich sein im Großen. Lass mich sein.“ Im stillen, sanft illuminierten Kirchenraum sind alle zusammen – und doch ist jeder und jede für sich. Yoga kann auch eine Anregung zur Selbstreflexion sein, eine kurze Auszeit in der Alltagshektik, eine Zeit mit Gott. „Festhalten kann so anstrengend sein, wir dürfen auch loslassen“, sagt die 47-jährige Pfarrerin, bevor sich die Gruppe in dieser stimmungsvollen Atmosphäre in den Abend hinein verabschiedet.
Christliches Yoga: bis 12. Dezember donnerstags um 19 Uhr, Johanneskirche, Horststraße 99. Ein adventlicher Yoga-Gottesdienst findet dort am 16. Dezember, 19 Uhr, statt. Kontakt über Pfarrer Andreas Kuntz, Telefon 06341-50279 oder auf Instagram:
@glauben_bewegen_lieben