Kriegerdenkmäler, Sandsteinplastiken, Kirchenfenster, Glocken: Rund 180 Projekte listet das Pilotprojekt „Belastendes Erbe“ der Evangelischen Akademie der Pfalz auf. Seit rund zwei Jahren haben Marie Fischer und Luisa Deininger in Kirchengemeinden der Evangelischen Kirche der Pfalz historisch problematische Objekte aus der Zeit des Deutschen Reiches (1871 – 1945) zusammengetragen. Derzeit werden die Ergebnisse wissenschaftlich aufgearbeitet, zum Jahresende sollen sie in einer Internetpräsenz veröffentlicht werden.
In zwei Umfragerunden waren die rund 400 Pfälzer Kirchengemeinden aufgefordert worden, problematische Objekte in ihrem Bereich zu melden. Mit der Zahl der Rückmeldungen ist sie eigentlich zufrieden, sagt Fischer. „Wir haben eine generelle Offenheit für das Thema gespürt.“ Zum Teil konnten Mitglieder des Presbyteriums Auskunft geben, an anderen Orten konnte der örtliche Heimatverein weiterhelfen oder die jeweiligen Bürgermeister oder Beigeordnete. „Die sind oft schon länger vor Ort als der Pfarrer oder die Pfarrerin und haben ihr eigenes Netzwerk.“ Schwierig wurden die Recherchen bei Vakanzen in der Pfarrgemeinde.
Mit dem auf zwei Jahre angelegten Projekt nimmt die Pfälzer Kirche im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine Vorreiterrolle ein, sagt der landeskirchliche Bildungsdezernent, Oberkirchenrat Claus Müller. Materielle Relikte in landeskirchlichem Besitz aus der Zeit der Reichsgründung 1871 bis zum Ende der Nazidiktatur 1945 werden demnach erstmals systematisch erfasst, ergänzt Fischer. Ziel ist es, Informationen über „belastende“ Objekte wie Kunstobjekte, Gebäude, Gedenktafeln oder Denkmäler zu sammeln, die mit ihren Darstellungen ein ethisch-politisches Problem sind. Mitunter eine Herausforderung für die Kirchengemeinden vor Ort. „Das ist nichts, worauf wir besonders stolz sind“, sagt etwa Pfarrerin Sandra Liermann auf Anfrage zu den 1923 eingebauten, militaristisch angehauchten Kirchenfenstern in Rehborn, die an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs erinnern.
Bei der historischen Einordnung sind Deininger und Fischer nicht auf sich alleine gestellt. Sie kooperieren mit dem landeskirchlichen Zentralarchiv in Speyer und Wissenschaftlern im Netzwerk der Evangelischen Akademie. „Wir können die Besitzverhältnisse auseinanderdröseln durch die Akten“, sagt Deininger – etwa, ob ein Denkmal auf kirchlichem Grund nur errichtet wurde oder die Kirche es bezahlt hat. Hilfreich sind Artikel oder Berichte über Einweihungsfeiern. „Oft hatten diese Denkmäler eine Trostfunktion.“
Mit der Recherche wollen die Historiker*innen den Kirchengemeinden helfen, wie sie mit den Objekten umgehen können. Wie diese sich letztlich mit ihrem Erbe auseinandersetzen, ob ein Objekt aus der Kirche entfernt wird wie im Fall der Glocken in Essingen oder Mehlingen, ist nicht Sache der Projektmitarbeiter*innen. „Wir wollen keinen moralischen Zeigefinger heben“, sagt Deininger. Stattdessen spricht sie von einer Art „Kriterienkatalog“ zur eigenen Urteilsfindung. Oftmals kann ein erklärender Text an einem Objekt hilfreich sein.
So etwa die Erklärtafel in der Kuseler Stadtkirche zu den Tafeln zum Gedenken an die Toten des Ersten Weltkriegs, die 2014 aufgestellt wurde. Historisch gut dokumentiert ist auch das einstige Denkmal an den Krieg von 1870/71 vor der protestantischen Kirche in Rheingönheim, ein Obelisk auf einem wuchtigen Quader mit Namenstafeln. Er wurde 1958 abgebaut – laut Stadtverwaltung aufgrund der „schlechten Bausubstanz“ und um Platz für Parkbuchten zu schaffen. Reste verblieben rund um die Kirche. Insgesamt sind zehn Prozent der 180 erfassten Objekte zerstört oder verschwunden, sagt Fischer.
Einen neuen Standort bekommen hat das ebenfalls erfasste Denkmal aus der Christuskirche in St. Ingbert-Rohrbach. Sie wurde 1937 als Saardankkirche geweiht und trägt erst seit 1953 ihren heutigen Namen. Die Sandsteinplastik, die ein Paar mit Baby auf dem Arm zeigt, ist nach Auskunft von Pfarrerin Annemarie Rossell heute im Historischen Museum Saar in Saarbrücken zu sehen. Errichtet wurde sie zum Gedenken an die Volksabstimmung zum Verbleib des Saarlandes 1935, die den Nationalsozialisten einen Prestigegewinn brachte. Nicht alle Unterstützer des Referendums wiederum sind überzeugte Nationalsozialisten gewesen, ordnen Deininger und Fischer ein. Ein Forschungsgegenstand zu diesem Thema ist auch die Friedenskirche in Homburg-Beeden, 1935 als „Saarbefreiungskirche“ eingeweiht.
Die Evangelische Kirche der Pfalz hat bei der Aufarbeitung ihrer Geschichte eine gesellschaftliche Vorbildfunktion, betont die Projektmitarbeiterin. „Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Zukunft gestalten.“ Deshalb ist das Wort Erbe im Titel des Projekts so passend. „Ein Erbe habe ich, damit muss ich mich auseinandersetzen“, sagt Deininger. Wer sich aber damit beschäftigt hat, ist künftig nicht mehr so angreifbar.
Florian Riesterer; mit epd-Material
Dieser Artikel ist zuerst im Evangelischen Gemeindeblatt für die Pfalz erschienen.