Tomke-Maillien Lübben will als Ehrenamtsbeauftragte der pfälzischen Landeskirche ­Engagierten Räume öffnen. Im Interview spricht die 33-Jährige mit Florian Riesterer über veränderte Bedürfnisse von Ehrenamtlichen, überwindbare Barrieren und einem neuen Bild von Kirche.

Frau Lübben, Sie sind jetzt seit knapp einem halben Jahr Beauftragte der Landeskirche für das Ehrenamt. Was ist Ihnen aufgefallen?
Tomke Lübben: Es gibt unterschiedliche Erwartungen an das Ehrenamt, unterschiedliche Anforderungen. Da gilt es, Übergänge zu moderieren und zu gestalten.

Können Sie das präzisieren?
T. L.: Das „alte“ Ehrenamt, um es einmal so zu nennen, funktioniert über langfristiges Engagement und über die Wertschätzung einzelner Personen. Das „neuere“ Ehrenamt eher über Beteiligung und über flexibles und projektorientiertes Arbeiten. Wir brauchen beides. Die Menschen wollen wahrgenommen werden in ihrer Entwicklung.

Wie kann das geschehen?
T. L.: Ehrenamtliche wollen mit Hauptamtlichen auf Augenhöhe arbeiten und die eigene Position voranbringen. Oder sie arbeiten ohne hauptamtliche Personen, weil sie sagen: Das ist mein Feld, das kann ich weiterentwickeln.

Über einen längeren Zeitraum …
T. L.: Auch. Aber es gibt auch Projekte, die ich als Ehrenamtliche vom Anfang bis zum Ende begleite, die kurzfristiger sein können. Wir müssen lernen, dass sich Engagierte vielleicht nicht so sehr mit der Institution Kirche identifizieren, sondern mehr mit dem Projekt, den Zielen, dem Miteinander.

Ist das eine Herausforderung?
T. L.: Wenn man sich die letzte KMU (Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD) anschaut, sind den Menschen das Diakonische, die christ­lichen Werte wichtig. Dafür haben die Leute Lust, sich zu engagieren: Nachhaltigkeit, Miteinander, eine gerechtere Welt, Diskriminierungsfreiheit. Ich glaube, da wird Kirche noch besonderes Vertrauen zugeschrieben, da müssen wir uns nicht verstecken. Aber wenn wir attraktiv bleiben wollen, muss sich das Bild wandeln, das Kirche nach außen vermittelt. Wir müssen Gemeinschaft mehr in den Fokus stellen.

Inwiefern?
T. L.: Oft haben wir Ehrenamtliche, die sehr kirchennah sind. Aber wenn ich jetzt jemand bin, der sich mit Gemeinschaft und dem Glauben verbunden fühlt, aber weniger mit Kirche, der nicht so ­bibelfest ist oder regelmäßig betet, ist so ein Engagement ungleich schwerer, weil ein komplett anders Kirchenbild als meines gelebt wird. Weil Voraussetzung ist, dass ich sonntags in die Kirche gehe, und es für viele Jüngere, gerade mit Kindern, schwierig ist, sich zu engagieren und noch in die Kirche zu gehen.

Wo muss sich in der Arbeit mit Ehrenamtlichen etwas bewegen?
T. L.: Es geht um das Führen. Wie helfe ich, Verantwortung zu übernehmen und wieder abzugeben, wenn es kräftemäßig nicht mehr reicht? Und das Gewinnen neuer Ehrenamtlicher ist ein großer Punkt. Der Nachwuchs ist nicht mehr da, an vielen Stellen bräuchten wir mehr neue Kräfte.

Letztlich werden aber Hauptamt­liche in der Kirche weniger. Braucht es nun mehr Ehrenamt?
T. L.: Wir reden immer darüber, dass Kirche jetzt mehr ­Ehrenamtliche braucht, weil das Hauptamt nicht mehr da ist. Aber vielleicht braucht Kirche auch nur ein Bild, das Hauptamtliche und Ehrenamtliche wieder auf Augenhöhe stellt. Denn wenn man Kirche nicht nur als Institution sieht, sondern als Gemeinschaft von Menschen, die an etwas glauben, funktioniert es doch gar nicht ohne die Menschen, die sich engagieren – ohne Menschen, die zusammen als Glaubensgemeinschaft bestehen wollen, und all die christlichen Werte, die wir ver­treten. Ich glaube, dass Kirche noch nie ohne engagierte Ehrenamtliche bestehen konnte. Und wenn sie nur noch aus Hauptamtlichen besteht, stelle ich die Frage: Ist das dann noch Kirche?

Sehen Sie da nicht eine Überforderung Ehrenamtlicher?
T. L.: Wir dürfen nicht anfangen zu sagen: Hier gibt es dieses Hauptamt nicht mehr und das musst du jetzt füllen. Vielmehr sollten wir Angebote machen, Räume zu füllen, aber das können eben auch Ideen Ehrenamtlicher sein. Vielleicht ­können wir als Hauptamtliche den Schritt zurück machen und der Gemeinde mehr zutrauen.

Haben Sie weitere Ideen?
T. L.: Wir müssen auf die Barrieren schauen, die wir aufbauen als Kirche. Armutsbetroffene Menschen können sich oft bei uns nicht engagieren, weil sie die zeitlichen oder finanziellen Ressourcen nicht haben, die es manchmal braucht. Oder sie werden selten oder gar nicht angesprochen auf ein Ehrenamt. Das Gleiche gilt für Menschen mit Migrationshintergrund.

Warum ist das so?
T. L.: Wir sehen sie nicht als Menschen, die etwas geben können, sondern nur als Menschen, die Hilfe brauchen. Das gilt auch für Menschen mit Beeinträchtigungen. Dafür braucht es dann eben andere Konzepte. Manchmal reicht es schon, die Menschen als potentielle Engagierte wahrzunehmen, und manchmal braucht es andere An­gebote wie eine Rollstuhlrampe.

Sind größere finanzielle Anreize nötig für Ehrenamtliche?
T. L.: Ich finde das schwer zu entscheiden. Zum einen öffnet man einen Markt für billige Arbeitskräfte, also letztlich auch für Ausbeutung. Auf der anderen Seite hilft es Menschen in prekären Situationen, sich eben da zu engagieren, wo sie das gerne würden.

Gibt es weitere Barrieren?
T. L.: Oft fehlt es schlichtweg an Informationen. Ich hätte gerne eine Homepage, auf der Informationen für Engagierte und Hauptamtliche, die mit Ehrenamtlichen arbeiten, gebündelt sind, darum kümmere ich mich gerade. Noch muss ich mir das an den verschiedensten Stellen zusammensuchen.

Zuletzt war in der Landeskirche der Runde Tisch Ehrenamt eine Ver­netzungsplattform.
T. L.: Wir bauen das um in ein Forum, das sich mehr auf die Ehrenamtlichen selbst konzentriert. Darin sollten auch Menschen sitzen, die nur lose mit Kirche verbunden sind. Ehrenamtliche, die beispielsweise nicht in der Kirchengemeinde aktiv sind, aber auf der Jugendfreizeit einmal im Jahr mitarbeiten und die dann sagen, ich würde auch gerne strukturell etwas ändern.

Gibt es Engagementfelder, wo Sie noch Raum sehen?
T. L.: Mir ist aufgefallen, dass es noch kein digitales Engagement gibt.

Was schwebt Ihnen vor?
T. L.: Das kann vieles sein. Eine Social-Media-Aktion zu einem Thema oder eine Zoom-Fortbildung für andere Engagierte – weil ich vielleicht eine Schlaftrainer-Ausbildung gemacht habe und meine Kompetenzen jetzt weitergeben will an gestresste Menschen. Es wäre toll, wenn solche Ideen von den ­Engagierten selbst weiterentwickelt würden. Ich halte es für wichtig, dass wir die digitale Welt ernst nehmen als Welt, wo auch Engagement stattfindet, wo es eine Zivilgesellschaft gibt, wo es Kirche gibt.

Das hört sich nach einem dicken Brett an, das zu bohren ist …
T. L.: Ja, und deshalb ist es wichtig, mehr über den Tellerrand zu gucken, in andere Landeskirchen, diakonische Werke, freie Träger. Wir sollten stärker Synergien suchen. Sicher sind Investitionen im Bereich Software nötig, um digital wahrgenommen zu werden. Langfristig kann ich aber so sparen. Bei manchen Fortbildungen, wo ich vor fünf Leuten referiert hätte, reicht vielleicht künftig ein Video. An anderer Stelle braucht es nach wie vor den Austausch in Präsenz.

Von Florian Riesterer

Informationen unter evkirche-pfalz.de/engagieren/ehrenamt

Dieser Artikel ist zuerst im Evangelischen Gemeindeblatt für die Pfalz erschienen.

Tomke-Maillien Lübben. Foto: Melanie Hubach

Tomke-Maillien Lübben. Foto: Melanie Hubach