Seniorenarbeit in der Kirche 

Alter, Du hast Zukunft!

Seniorenarbeit, die glücklich macht: Rikscha fahren. Foto: Zenhom Haggag

Rainer Brunck radelt Senioren durch Bad Bergzabern. Foto: Zenhom Haggag

Zwei unter einem Dach: Rainer Brunck und Werner Busch haben das Rikscha-Projekt ins Rollen gebracht. Foto: R. Brunck

"Ich war anfangs recht jung für die Senioren, das war das Tolle." Rainer Brunck aus Bad Bergzabern beantwortet 10 Fragen rund um "sein" Seniorenbüro und den Ökumenischen Fachtag "Alter hat Zukunft" am 16. September in Speyer.

Er ist so einer, der gern anpackt: Rainer Brunck. Felder anbauen, Unterstände bauen, Menschen aufbauen - als Diakon, Sozialarbeiter und gelernter Landwirt kann er vieles. "Das ist gut so und ich lerne mit meinen 58 Jahren noch täglich dazu, das gehört zur Stelle", freut er sich durchs Telefon.

Seit fast zehn Jahren ist er zur Stelle. Als Seniorenreferent im Dekanat Bad Bergzabern baut er Brücken zwischen Alt und Jung. Die Bergzaberner Seniorenarbeit wurde bereits bundesweit ausgezeichnet, zuletzt zudem mit dem Brückenpreis Rheinland-Pfalz. Im Gespräch schlägt der Brückenbauer Brunck locker den Bogen zwischen meinen und seinen Fragen rund ums begleitete Altwerden.

1. Von der Jugendpflege ins Seniorenbüro, sind Sie in der Arbeit gealtert?

Ähm, gute Frage. Ich bin ja tatsächlich erst 50 gewesen, als ich angefangen habe, einige Senioren hätten meine Eltern sein können. Da fühlte ich mich echt noch jung, das war aber gar nicht schlecht – für die Älteren und mich. Ich bin mit meinen Jobs tatsächlich schrittweise "älter" geworden. Raus aus der Jugendarbeit war ich 2004 der erste Familienreferent der Landeskirche, ab 2014 Seniorenreferent. Und bin weiter mit Feuer und Flamme dabei, am liebsten praktisch und lösungsorientiert. Ich packe einfach gern an, wo´s brennt.

2. Und was tut so ein Praktiker täglich im Büro Rat & Tat?

Mal überlegen, heute ist Dienstag. Wenn ich im Senioren- und Pflegeheim Gottesdienst halte, ziehe ich danach den Talar aus und radle Senioren in der Rikscha durch den Kurpark oder die Stadt. Währenddessen kommen rund 15 Leute zur Plauderküche. Es wird zusammen gekocht, gegessen und eben geschwatzt. Die Tischgemeinschaft ist das Wichtigste, ansonsten würden die meisten zuhause allein am Tisch sitzen oder gar nichts essen. Das Ehrenamtsteam organisiert Fahrdienste und koordiniert mit mir unsere Angebote. Wir haben ja einiges zu bieten. Das Büro vermittelt Fahrten zum Arzt oder Einkauf, aber auch Termine zum Vorlesen oder Spazierengehen. Wir bieten das Repaircafé - eine Fahrradwerkstatt, die einige Rentner betreiben - Nachbarschaftshilfe, Kurse für Englisch, PC oder Handy und und …

3. Rikscha-Fahren gehört also auch dazu, was macht am meisten Spaß?

Ja, das Rikscha-Projekt ist toll. Das bringt – auch dementiell Erkrankten – nicht nur Freude, sondern auch Erinnerungen zurück, wenn sie durch ihre Stadt gefahren werden. Das Lächeln der Passanten inbegriffen. Wir haben inzwischen etwa zehn Ehrenamtliche, die man für solche Fahrten buchen kann. Die elektrisch unterstützte Rikscha konnten wir mit Spenden und einer ökumenischen 72-Stunden-Anpack-Aktion finanzieren. Man sieht, meine Arbeit ist vielseitig, das macht mir am meisten Freude.

4. Und was halten die Seniorinnen und Senioren von den Angeboten?

Die Resonanz ist wirklich gut. Freitags haben wir Seniorencafé. Es gibt meist ein Thema, aber wir erzählen einfach viel und "bespaßen" einander. Ich finde, wer zu uns kommt, soll ein paar Mal lachen dürfen. Dieser Nachmittag ist für viele ältere Menschen die einzige Abwechslung in der Woche. Jemand der da ist, zuhört und sich zuwendet, diese Seelsorge ist gefragt. Das ist es, was ankommt und was uns ausmacht als Kirche.

Jenseits der Unterstützung im Alltag ist mir Seelsorge immens wichtig. Ich bekomme auch selbst sehr viel zurück. Winken, Lachen, vertrauliche Gespräche. Letztlich üben wir uns alle im Älterwerden. Darin, es leichter zu nehmen, auch wenn es nicht immer leicht ist. Ein Herr, der immer mit E-Scooter zum Seniorencafé kam, hat mich sehr beeindruckt, weil er so offen war. "Denkt dran, zwei Liter am Tag", hat er die Runde erinnert, "zieht lieber Windeln an, als zu wenig zu trinken".

5. Kommen auch die Generationen, Jung und Alt, zusammen?

Auch darum bemühen wir uns. Beim "Café Wisch & Klick" geben junge Leute den Älteren gewissermaßen Handy-Nachhilfe. Das läuft besser als zwischen Enkelin und Opa, da ist mehr Distanz und damit Respekt. Die Kids werden plötzlich geduldig und zeigen sich von ihrer Schokoladenseite. Am Weltlegotag haben wir zu einem "Opa-Oma-Enkeltag" geladen, 70 sehr junge und alte Menschen haben gemeinsam Legowelten gebaut. Spielerische Aktionen wie "Mensch ärgere dich nicht - Ü70 gegen U7" bieten wir auch an. Wir wollen in Zukunft noch stärker generationenverbindend arbeiten.

6. Welche Themen sind brisant und wie sieht das Büro 2030 aus?

Einsamkeit! Und Digitalisierung, das sind die Themen, die Corona noch verstärkt hat. Schon zuvor haben wir das Freunde-Speed-Dating begonnen. Es bringt ältere Leute quasi im Minuten-Takt zusammen, fürs Wandern, Kino oder Karten spielen. Wir versuchen wie gesagt auch, für PC und Smartphone zu begeistern, damit die Älteren den Anschluss an den Alltag behalten. Einige ziehen gern mit. Aber wer um die 80 ist, springt oft nicht mehr auf den digitalen Zug auf. Manche bleiben stehen, von wegen "ich hab genug gelernt".

Das find ich traurig, sie bringen sich ja um enorme Chancen, um Kontakte zu neuen Menschen oder zu den Enkeln.

Wie es 2030 aussieht? Hhm, ich hoffe, dass es uns nach wie vor gibt. So Gott will, bin ich dann selbst fast im Rentenalter. Aber bis dahin werde ich daran arbeiten, dass wir weiter jüngere Leute gewinnen. Wir werden in Zukunft noch digitaler unterwegs sein. Und mit anderen städtischen oder kirchlichen Playern kooperieren – hoffentlich, denn das fehlt derzeit. Man ist halt einfach froh, dass es uns gibt, aber an Unterstützung mangelt es uns oft.

7. Noch drei Sätze ergänzen bitte. Ein ökumenischer Fachtag Alter ist dran, weil …

wir an diesem Tag sehen, wie vielfältig unsere kirchlichen Angebote sind und wir uns vernetzen können. Ich sehe es als eine Ideen-Tausch-Börse, es muss ja nicht jeder das Rad neu erfinden. Ideen wie die Fahrradwerkstatt lassen sich teilen.

8. Alt werden ist schwer, weil …

das Loslassen schwerfällt. Liebgewordene Gegenstände, Gewohnheiten, gar Menschen gehen zu lassen, das muss gelernt werden, lebenslang. Auch wenn´s weh tut.

9. Alter hat Zukunft, wenn…

Menschen da sind, die Altgewordene begleiten. Und alten Leuten endlich eine lautstarke Stimme geben.

10. Wenn ich mal alt bin, erwarte ich von der Kirche, dass …

nun, ich möchte nichts erwarten, aber mir was wünschen, da muss ich zum Schluss nochmal ausholen: Als Kirche müssen wir für die Alten da sein, im Alltag, in der Seelsorge, so wie wir es tun. Aber in Pflege, Hospizarbeit und Sterbehilfe müssen wir mehr tun, um den Menschen beizustehen, den ausgebrannten Pflegekräften und den erschöpften Schwerkranken. Die Kirche muss an dieser Stelle die Politik bewegen - und sich selbst.

Es ist ja klar, die Gesellschaft wird älter, der Pflegenotstand größer und in der Sterbe-Praxis wird sich noch einiges ändern. Wir sollten Leute seelsorgerisch begleiten, auch im Sterben, dass sie nicht in die Schweiz reisen müssen. Wenn Menschen in ihren Pflegebetten jahrelang leer an die Decke starren – ich sehe sie oft – kann ich das kaum ertragen. Viele von ihnen, wenn nicht gar die meisten, würden gern begleitet und in Frieden gehen. Das sagt mir auch das Pflegepersonal, oft hinter vorgehaltener Hand.

Hier habe ich die Haltung, die bislang nur eine Minderheit in der Kirche teilt: Mein Leben ist ein großes Geschenk, ja, das ist es. Ich habe es dankbar angenommen und darf es meinem Schöpfer ebenso dankbar zurückgeben - wenn es für mich nicht mehr lebenswert ist. Aber im Moment gibt's ja noch viel zu viel zu lachen und zu tun.

Hintergrund zum Fachtag Alter hat Zukunft

Der Ökumenische Fachtag unter dem Motto "Alter hat Zukunft" findet am Samstag, 16. September von 9.30 bis 16 Uhr im Priester- und Pastoralseminar St. German in Speyer statt. Er richtet sich an Menschen, die haupt- oder ehrenamtlich in der Seniorenarbeit tätig sind, aber auch an Interessierte. "Es geht um Information, Austausch und Entdecken. Wir wollen uns in ökumenischer Gemeinschaft mit dem demographischen Wandel beschäftigen. Immer mehr Menschen werden 80, 90 oder gar 100 Jahre alt. Bis 2030 wird etwa ein Drittel unserer Mitglieder 60 Jahre und älter sein. Sie müssen begleitet werden, haben aber auch viel einzubringen", sagt Pfarrerin Christine Schöps, eine der Leiterinnen des Fachtages.

Anmeldungen bis zum 1. September. Mehr Infos hier. 

Hintergrund Seniorenbüro Rat & Tat

Rainer Brunck ist Seniorenreferent des Protestantischen Dekanats Bad Bergzabern.
Er arbeitet in den Projekten gemeinsam mit einem Ehrenamtsteam. Das Seniorenbüro Rat & Tat wurde 2004 als Zentrale Anlaufstelle für Senioren (ZAS) von der Protestantischen Kirchengemeinde Bad Bergzabern gegründet, wird mitgetragen vom Evangelischen Diakonissenverein und ist im Haus der Familie eingerichtet. Fahrdienste, Alltagshilfen und Kurse werden angeboten und beständig ausgebaut. 2021 kam das BüroLichtBlick (BLB) hinzu. Das BLB organisiert Hilfen bei Ämtergängen, Anträgen, Behördenschreiben oder dem Regeln der letzten Dinge. Das Projekt erhielt den Brückenpreis des Landes Rheinland-Pfalz 2022, den das Team in Mainz entgegennahm.

In Berlin wurde das Seniorenbüro bereits 2019 von der damaligen Familienministerin Franziska Giffey ausgezeichnet. Im Wettbewerb des Bundesfamilienministeriums "Einsam? Zweisam? Gemeinsam?" belegte das Büro den zweiten Platz mit zwei Initiativen: Preiswürdig waren das erwähnte Freunde-Speed-Dating und der Telefonring für Senioren. Er sorgt dafür, dass eine Gruppe Personen einmal am Tag einander kontakten, so dass keine Notlagen entstehen und alle im Gespräch bleiben.

Autorin: Mechthild Werner