von Florian Riesterer
Den Blick über den Tellerrand der Landeskirche hat Rossell schon in ihrem Spezialvikariat gewagt. Ein halbes Jahr lernte sie in Cambridge die United Reformed Church (URC) kennen. „Ich habe mitbekommen, wie einfach es manchmal sein kann, ökumenisch zusammenzuarbeiten“, sagt Rossell über das unkomplizierte Verhältnis der URC zur Church of England. Die Kirchen teilten sich Gebäude und Pfarrer.
Kurz nach ihrem Examen 2020 bekam sie die Möglichkeit, am Programm Young Theologians in Communion teilzunehmen. Gesucht waren Theolog*innen, die am Ende ihres Studiums oder Beginn ihrer Laufbahn als Pfarrer oder Pfarrerin stehen und sich mit Texten der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (Geke) beschäftigen. Auf vier Treffen in Rom, Cambridge, Leipzig und Tallinn tauschten sich die Teilnehmer*innen aus. Die Vollversammlung, bei der sie ihre Einschätzungen einbringen konnten, war der Abschluss.
Unterschiedliche Geschwindigkeit in Fragen von Sexualität und Geschlecht
Sie nehme eine „europäische Sichtweise“ auf Prozesse in der eigenen Kirche und Themen mit, sagt Rossell. Ein Text habe sich mit den Themen Geschlecht, Sexualität und Familie auseinandergesetzt. „Das ist für viele Kirchen aus dem osteuropäischen Gebiet ein heißes Eisen.“ Die Ungarische Reformierte Kirche hatte deshalb ihre Delegierten zurückgezogen, die Mitgliedschaft in der Geke aber nicht infrage gestellt. Wichtig sei, den einzelnen Kirchen ihre eigene Geschwindigkeit zuzugestehen, erklärt Rossell. „Wir brauchen eine Akzeptanz für andere Haltungen.“
Doch nicht nur die Haltungen, auch das, was Pfarrerinnen leisten, unterscheidet sich, hat sie erfahren. Dass zu Seelsorge und Verkündigung noch Gebäudeverwaltung kommt, war für Kollegen aus der reformierten Kirche der Niederlanden beispielsweise völlig unverständlich. Rossell plädiert, das „Spezifische unserer Profession“ mehr in den Mittelpunkt zu stellen. „Wenn wir alles ein bisschen mitmachen, bleibt vieles auf der Strecke.“
Auswirkungen in die Praxis
Rückmeldung gaben die Mitglieder von Young Theologians zur Rezeption der von der Geke verabschiedeten Texte. „Viele schaffen es nicht immer zur Basis“, sagt die Pfarrerin über die „guten und wertvollen“ Anregungen. Helfen könnten je nach Zielgruppe neue Formate, wie Podcasts oder Videoblogs.
In ihrer Kirchengemeinde St. Ingbert-Hassel will sie den „Geist der europäischen Verbundenheit“, den sie in Sibiu erlebt hat, wachhalten. Eine Partnergemeinde im nahen Frankreich gibt es schon. Und eine weitere Gemeindepartnerschaft ist zumindest eine Idee. Hineinfließen in Gottesdienste könnten Elemente aus dem Liturgiebaukasten der Geke, „vielleicht zum Volkstrauertag“, denkt sie laut nach. Der liturgische Reichtum innerhalb der evangelischen Kirche, die auch in den Morgen- und Abendandachten spürbar wurde, hat sie bewegt.
Mit Kirchenmusik nach Sibiu
Erfüllt zurückgekehrt aus Sibiu ist auch Ephraim Schäfer. Der Theologiestudent aus Steinwenden half als einer von 46 Stewards aus 14 Nationen bei der Betreuung der Gäste und den Plenarsitzungen. Bei den täglichen Morgenandachten war der 22-Jährige Teil des Musikteams – schließlich singt er in der Pfalz in der Evangelischen Jugendkantorei.
„Extrem tolle anderthalb Wochen“, konstatiert Schäfer. Da sei zum einen der Einblick gewesen, was Kirche in einem stark säkularisierten Land mit einer christlichen Minderheit zu leisten vermag – und wo sich die eigene Kirche etwas abschauen könne. Ein Pfarrer der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses habe berichtet, wie er mit seiner Frau 50 Kirchen zu bespielen habe – mit oft nur einer Handvoll Gemeindemitglieder. „Trotzdem ist er mit Herzblut dabei.“ Und das in einem Land, in dem jenseits großer Städte Straßen nicht geteert sind und eine zerstörte Holzbrücke auch mal stundenlange Umwege nötig machen kann. Das hat Schäfer bei einem Ausflug selbst erlebt. „Hoffnung, auch wenn es schlecht aussieht“, habe er gesehen. Daraus zieht auch Pfarrerin Rossell Kraft: „Wenn wir kleiner werden, können wir andere ermutigen, ein Stück Seelsorge zu leisten, für andere da zu sein“, sagt sie über Christen hierzulande. Auch wenn das sicher nicht jedermanns Sache sei. „Aber ein Umdenken findet statt.“
Bei den verhandelten Themen hätte sich Schäfer gerne mehr Chancen zur Beteiligung gewünscht, sei es in Vorbereitungsgruppen oder mit Rederecht bei der Versammlung. Schließlich repräsentierten die Stewards – fast alles angehende Theolog*innen – ja auch die Zukunft der Kirche. Immerhin hätten die Stewards je nach Arbeitsgruppe ihre Meinung kundtun dürfen. In jedem Fall sei das Interesse der Delegierten an der jeweils anderen Kirche spürbar gewesen – auch wenn er wegen seines Vornamens und seiner Mitgliedschaft in der „Church of the Palatinate“ mehr als einmal der Vermutung entgegentreten musste, er sei Palästinenser.