Speyer (epd-lmw). Der frühere Bundespräsident Christian Wulff hat an alle gesellschaftlichen Gruppen appelliert, gemeinsam die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu verteidigen. Angesichts des verstärkten Drucks durch Rassismus, Populismus und Nationalismus sei der Zusammenhalt der Gesellschaft in Deutschland bedroht, sagte der 57-jährige CDU-Politiker in Speyer bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Viele Kulturen – eine Gesellschaft“. Damit endete die 14-teilige Veranstaltungsreihe „Aus Liebe zur Wahrheit. Speyerer Thesen zur Reformation“ zum Reformationsjubiläum. Diese hatte die Wochenzeitung „Evangelischer Kirchenbote“ und die Tageszeitung „Die Rheinpfalz“ seit 2009 ausgerichtet.
Mehr Mut sei nötig, um die derzeitigen großen Herausforderungen durch Terrorismus, Globalisierung und Digitalisierung zu bewältigen, sagte Wulff, der von 2010 bis zu seinem Rücktritt im Februar 2012 Bundespräsident war. Die Basis des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur in Deutschland müsse das Grundgesetz sein. Dabei seien alle Bürgerinnen und Bürger gefordert, sich auch politisch für ein tolerantes und friedliches Gemeinwesen einzubringen.
„Nichts ist garantiert, dass es so bleibt“, warnte das frühere Staatsoberhaupt vor einem möglichen Rückfall in ein politisches Chaos. Das Gebot der Stunde sei es, „Maß und Mitte zu halten“, neues Vertrauen in die politischen Institutionen zu entwickeln und einem vor allem von Rechtspopulisten in ganz Europa verbreiteten „apokalyptischen Denken“ zu widersprechen. Vor allem die jüngere Generation sei gefordert, Verantwortung zu übernehmen. „Wir brauchen Demokraten, die die Mitte stärken, um die radikalen Ränder zu schwächen“, sagte Wulff.
Mit Blick auf den Flüchtlingszuzug nach Europa und Deutschland warnte Wulff davor, irrationalen Ängsten nachzugeben. „500 Millionen Europäern muss es doch möglich sein, dass sie drei Millionen syrische Flüchtlinge aufnehmen und auf Zeit und Dauer beherbergen können“, sagte Wulff. Alle in Deutschland zusammenlebenden Menschen müssten aber eine „klare Haltung“ zeigen und das Grundgesetz achten. Ein „falsch verstandenes Gutmenschentum“, das Regelbrüche dulde, sei unakzeptabel, sagte Wulff.
Von den Kirchen wünsche er sich, dass sie den interreligiösen Dialog mit den rund 3,5 Millionen Muslimen im Land stärkten, sagte der katholische Altbundespräsident. Gemeinsam könnten sie besser für Menschenwürde und gegen Fundamentalismus eintreten. Er sprach sich gegen ein Islamgesetz aus und für die Ausbildung von Imamen und muslimischen Religionslehrern an deutschen Universitäten. Statt Verbote zu setzen, sei es wichtiger, Reformschritte im Islam hin zu mehr Freiheit und Demokratie zu fördern.
Mit seinem heftig debattierten Satz: „Der Islam gehört zu Deutschland“ von 2010 habe er gehofft, die offene Gesellschaft voranzubringen, sagte Wulff. Damals habe er jedoch „die Größe der Herausforderung unterschätzt“, räumte er ein.
Das Land könne auf die hohe Qualität seiner Medien stolz sein, sagte Wulff, der als Bundespräsident im Zuge einer Affäre um angebliche Vorteilsnahme im Amt in massive Kritik geriet und schließlich zurücktrat. Allerdings vergäßen die über ihre Zukunft verunsicherten Medien manchmal, „dass sie Macht und Verantwortung haben“, sagte Wulff.