Speyer (lk). Über die europäische und ökumenische Dimension der Reformation und die Beiträge des Protestantismus für die Gegenwart und die Zukunft von Kirche und Gesellschaft diskutierten Vertreter der lutherischen, reformierten, katholischen und unierten Kirchen bei der in Speyer tagenden Synode der Evangelischen Kirche der Pfalz. Die Teilnehmer stimmten darin überein, dass die Botschaften des Evangeliums der Gesellschaft Struktur und Antworten auf Fragen des Zusammenlebens von Religionen und Kulturen geben können. Die Rechtfertigungslehre als Kern der Reformation sei kein „alter Hut“.
Madeleine Wieger von der Theologisch-Protestantischen Fakultät der Universität Straßburg stellte fest, dass auch im säkularen Frankreich der Staat immer häufiger auf „Expertenantworten“ aus christlicher Sicht angewiesen sei. Ethische Fragen, beispielsweise zur Flüchtlingskrise, könnten in einer zunehmend komplexen Welt nur gemeinsam von Kirche und Staat beantwortet werden, sagte die promovierte Theologin und Philologin. „Viele glauben, im Evangelium gehe es ausschließlich um Individualethik.“ Aber es gehe um die Verantwortung aller für die Gesellschaft als Ganzes, unterstrich Wieger.
Solange eine globale Strategie, die Fluchtursachen zu beseitigen, nicht in Sicht sei, müssten die einzelnen Flüchtenden in den Blick genommen werden, mahnte der pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad. „Es sind keine Massen, es sind viele, aber immer Menschen, derer wir uns erbarmen können und müssen.“ Wer den persönlichen Kontakt suche, trage einfach und menschlich zur Integration bei. Gerade in der pluralen, säkularen Welt müssten die friedensstiftenden Ressourcen der Religionen wieder entdeckt werden. Der Einsatz für die unbedingte Würde des Menschen, gleich welcher Weltanschauung, sei eine dringliche Aufgabe der christlichen Kirchen.
„Es war großartig, dass Angela Merkel gesagt hat, wir schaffen das“, warf der Kirchenratspräsident der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt, Lukas Kundert, ein. Die Wirkung dieser Haltung sei in den Kirchen der Schweiz beeindruckend groß gewesen. Zugleich wies er darauf hin, die evangelischen Kirchen in ihrer Vielfalt wahrzunehmen. Als Teil der Zivilgesellschaft sei in den Kirchen der Anteil der Pegida- und AfD-Anhänger ebenso groß wie in der durchschnittlichen Bevölkerung. Dies sei eine Herausforderung. Um reformatorische und christliche Grundwerte sei zudem nur ökumenisch zu ringen. „Wir sind letztlich zu wenige Christen, um uns in ökumenischen Machtkämpfen zu verstricken.“
Die positive Botschaft eines gemeinsamen „Christusfestes“ betonte Ökumenereferent Thomas Stubenrauch vom Bistum Speyer. „Der gemeinsame Bezug auf Christus schließt ein Gedenken der negativen und den Jubel über die positiven Folgen der gemeinsamen Geschichte ein.“ Angesichts sinkender Mitgliederzahlen gelte es, das eigene Profil zu schärfen, aber nicht auf Kosten der anderen. Die Wahrnehmung der beiden großen christlichen Kirchen sei in der Öffentlichkeit ohnehin wenig differenziert. Es gebe eine beidseitige „Sippenhaft.“ Aus diesem Grund könne er sich freuen, „ wenn die kirchliche Stimme im Reformationsjahr positiv wahrgenommen wird“.
Nach den Worten von Bischof Michael Bünker ist bei den drängendsten Fragen der Zeit eine gesamtgesellschaftliche, gesamtkirchliche und gesamteuropäische Solidarität gefordert. Gerade die Kirchen hätten die Verantwortung, aus dem Glauben heraus Stellung zu beziehen, sagte der Bischof der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses (A.B.) in Österreich mit Blick auf die Flüchtlingskrise. „Es gibt keine gesinnungslose Verantwortung. Wir müssen immer bei der Sache bleiben, das heißt, bei Christus.“ Für Bünker müssen zwar Staat und Kirche getrennt sein, Religion und Politik sollten aber zusammenwirken. In Fragen der Ökumene sind nach den Worten des Generalsekretärs der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa Lösungen nur „Schritt für Schritt“ zu finden. Die „große Sternstunde“ eines vollkommenen Zusammengehens ist seiner Meinung nach aber noch in weiter Ferne.
Zuspitzend erwartete Kirchenpräsident Schad neben dem ökumenischen Vorwärtskommen in kleinsten Schritten fassbare Ergebnisse, Zeit- und Zielpunkte. „Das sind wir den Christenmenschen letztlich schuldig.“ Der Begriff der Einheit in versöhnter Verschiedenheit, den Papst Franziskus auch im Munde führe, müsse bald zu einem Ziel kommen. Er hoffe auf praktische Zwischenschritte in Bezug auf die sichtbare Kirchengemeinschaft und auf die Zulassung konfessionsverschiedener Ehepaare zum Abendmahl.
Die Moderation der Diskussion „über das Phänomen Reformationsjubiläum und die Botschaft der Reformation heute“ hatte der Chefredakteur des Kulturmagazins „Zeitzeichen“, Reinhard Mawick.