Kirchenunion 

"Schrittmacher" statt "Heilsanstalt"

Historische und theologische Impulse: Roland Paul...

...und Michael Beintker referierten zur Kirchenunion. Fotos: Landeskirche/view

Kaiserslautern (lk). „Wespennest“, „heißes Eisen“, „Quadratur des Kreises“ – die Union lutherischer und reformierter Konfessionen zu einer gemeinsamen evangelisch-protestantischen Kirche bot auch nach 1818 noch jede Menge Erregungspotenzial. Bis ins 20. Jahrhundert hinein waren Kirchenunionen Zielscheibe konfessioneller Polemik. „Glücklicherweise sind wir heute darüber hinaus“, sagte der emeritierte Professor für Systematische Theologie und Direktor des Seminars für Reformierte Theologie an der Universität Münster, Michael Beintker, in seinem Vortrag vor der in Kaiserslautern tagenden Synode der Evangelischen Kirche der Pfalz. Nach seinen Worten gehört es „zu den Schrittmacherdiensten einer Kirchenunion, den ohne konfessionellen Zusatz geführten Begriff des Evangelischen mit Inhalt und Leben zu erfüllen“. Beintker und der Historiker und ehemalige Direktor des Instituts für Pfälzische Geschichte und Volkskunde, Roland Paul, referierten am Freitag zum Schwerpunktthema Unionsjubiläum.

„Unierte Kirchen haben den Vorzug, nicht reformiert und nicht lutherisch sein zu müssen. Sie dürfen einfach evangelisch sein“, sagte Beintker. Schließlich sei es den Menschen schwer zu vermitteln, weshalb sie auf reformierte oder auf lutherische Weise evangelisch sein sollen. „Da werde ich lieber gleich katholisch. Da brauche ich wenigstens nicht zwischen den verschiedenen Varianten des Evangelischen zu entscheiden“, habe ihm einmal ein am Christsein interessierter Zeitgenosse gesagt, bemerkte Beintker. Evangelische Kirchen solle man daran erkennen, „dass sie alles zu vermeiden suchen, was sie in die Nähe einer Heilsanstalt rücken könnte“. Vielmehr gelte für sie das Priestertum aller Glaubenden als Grundsatz kirchlicher Gestaltung.

Das Evangelische sei zwar kein Privileg evangelischer Kirchen, „es begegnet in dieser und jener Form auch den anderen Kirchen der Ökumene“, sagte Beintker. Gleichwohl seien evangelische Kirchen dazu da, „das Evangelische als Grundmoment des Christseins exemplarisch und so unzweideutig wie möglich im Chor der Ökumene hörbar und sichtbar werden zu lassen“. Kirchenunionen seien Vorboten des ökumenischen Aufbruchs im 20. Jahrhundert gewesen. Mit der Verwirklichung von Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft seien sie der in Leuenberg 1973 von Lutheranern, Reformierten, Unierten, Waldensern und den Böhmischen Brüdern gegründeten Kirchengemeinschaft gute 150 Jahre voraus gewesen.

„Das Protestantische am Evangelischen“ sei es, für die Wahrheit des Evangeliums Zeugnis abzulegen, sagte Beintker mit Bezug auf den Protestations-Reichstag 1529 in Speyer als die Geburtsstunde des Protestantismus. Wenn man sich diese „Ursprungsszene“ vor Augen halte, müsse man Protestanten daran erkennen, dass sie sich in ihrem Gewissen an die Wahrheit des Evangeliums gebunden sehen und auch noch gegen Widerstand für sie eintreten. „Von einem solchen ‚pro-testari‘ können die Kirchen gar nicht genug bekommen“, so Beintker.

Union hatte auch „praktische Gründe“

Dass es sich bei der Pfälzer Kirchenunion nicht um die Gründung einer neuen Kirche, sondern um die „Wiedervereinigung der beiden bisher getrennten protestantischen Konfessionen“ gehandelt hat, unterstrich der Historiker Roland Paul in seinem Vortrag. Die Feiern zum 300. Jubiläum der Reformation 1817 hätten den Wunsch nach einer Vereinigung gefördert. Doch auch „praktische Gründe“ hätten dabei eine Rolle gespielt. Bereits zuvor erfolgte Annährungen seien zum Beispiel der finanziellen Not einzelner Gemeinden und der sozialen Situation geschuldet. Armut und Hunger seien viele Jahre Kennzeichen zahlreicher Gebiete in der Pfalz gewesen, sagte Paul, der auch gewähltes Mitglied der Landessynode ist.

Die 80 lokalen Unionen, die vor dem August 1818 geschlossen worden waren und die Abstimmung in allen Gemeinden über die Einsetzung einer Generalssynode zur Vereinigung der beiden Kirchen zeigen nach Pauls Ansicht den Wunsch nach Einheit. Zum Abschluss der in Kaiserslautern tagenden Generalsynode und nach der ersten gemeinsamen Abendmahlfeier, habe ein 76-jähriger Pfarrer vom „schönsten und glücklichsten Tag seines  27.375 Tage langen Lebensgesprochen. Die Euphorie sei jedoch nicht überall gleich groß gewesen, räumte Roland Paul ein. Vor allem Lutheraner hätten mancherorts mit deutlicher Zurückhaltung und Widerstand reagiert, eine Minderheit der Pfälzer Protestanten sei nicht bereit gewesen, die Union zu akzeptieren.

Von Spannungen und Kämpfen seien auch die Jahrzehnte nach der Union geprägt gewesen. Im Streit um die Ablösung des der Aufklärung verpflichteten Gesangbuchs von 1823 sei es zwischen Liberalen und Konservativen zu einem „regelrechten Kirchenkampf“ gekommen, erklärte der Historiker. Den Konflikt beigelegt habe schließlich der bayerische König. Er empfahl, die Gemeinden sollten über die Einführung des neuen Gesangbuches entscheiden.

Hinweis: Die Synode der Evangelischen Kirche der Pfalz tagt bis 26. Mai im Gemeindezentrum „Alte Eintracht“, Unionsstraße 2, in Kaiserslautern. Schwerpunkt ist „200 Jahre Pfälzer Kirchenunion“. Die mittelfristige Finanzplanung der Landeskirche für die Haushaltsjahre 2019 bis 2024 stellt am Samstag, 26. Mai, Finanzdezernentin Karin Kessel, vor. Die öffentlichen Sitzung beginnt am Samstag um 9 Uhr.

Die Synode kann auch über Twitter verfolgt werden. Auf der Homepage-Startseite www.evkirchepfalz.de zu lesen unter dem Stichwort „Twitter“.