„Protestanten ohne Protest“: Landeskirche benennt Versäumnisse und Herausforderungen 

Synodenschwerpunkt: "Es geht um unsere Identität"

Bad Dürkheim (lk). Mit der Rolle der Landeskirche während des Nationalsozialismus', den Versäumnissen von damals und den Lehren, die heute daraus zu ziehen sind, befasste sich die in Bad Dürkheim tagende Synode der Evangelischen Kirche der Pfalz an ihrem Schwerpunkttag. Der pfälzische Protestantismus sei zwar mit einer historisch-kritischen Gesamtschau seiner Rolle in den düstersten Jahren der deutschen Geschichte „spät dran“. Gleichwohl sei die Beschäftigung der Synode mit der NS-Kirchengeschichte auch ein Zeichen dafür, „dass wir uns als Kirche ernst nehmen“, führten der Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli und Akademiedirektor Christoph Picker aus. Zur eigenen Identität gehörten „eben nicht nur die Reformation, die Protestation und die Union, sondern auch das belastende Erbe der NS-Zeit“.

Kirchenpräsident Christian Schad bezeichnete in seiner Einführung in das Schwerpunktthema das von der Landeskirche in Auftrag gegebene, kürzlich erschienene Handbuch „Protestanten ohne
 Protest. Die evangelische Kirche der Pfalz im Nationalsozialismus“ als eine systematische Aufarbeitung protestantischer Geschichte. Akademiedirektor Christoph Picker, Archivleiterin Gabriele Stüber, Oberkirchenrat i.R. Klaus Bümlein und Kirchenrat Frank Matthias Hofmann haben das zweibändige Werk herausgegeben. Rund 60 Autoren haben daran mitgewirkt. Es sei ein „publizistischer Stolperstein“ und ein „Felsbrocken, der nicht mehr weggeräumt, abgearbeitet oder aufgelöst“ werden könne, sagte Sarcinelli. Sein Fazit: „Ein Bollwerk gegen den aufkommenden Nationalsozialismus war der Protestantismus jedenfalls nicht. Im Gegenteil.“ Auch der kirchliche Umgang in den unmittelbaren Nachkriegsjahren mit der eigenen Verstrickung habe „zu den nicht weniger traurigen Kapiteln“ gehört.

„Sich der Schuld- und Schamgeschichte der Landeskirche, ihren Gefährdungen und ihrer Verführbarkeit zu stellen, hat mit Wahrhaftigkeit sich selbst gegenüber zu tun“, erklärte Kirchenpräsident Christian Schad. Mit dem Handbuch werde ein deutlicher Akzent im Blick auf die Erinnerungskultur gesetzt. Aus der Tatsache, dass die damals unmittelbar Beteiligten heute nicht mehr am Leben sind, ergebe sich eine historische Distanz, die die notwendige Voraussetzung sei für eine möglichst kritische Aufarbeitung zumal der eigenen Geschichte. Für ihn verbinde sich damit jedoch die Frage, was es für die Opfer des Nationalsozialismus bedeutet habe, „dass sie mit ansehen mussten, dass nach 1945 ehemalige Täter und Mitläufer des Regimes ungebrochen Verantwortung übernahmen – in Politik und Gesellschaft und auch in unserer Kirche“, sagte Schad.

Protestantismus und Nationalsozialismus gingen Hand in Hand

Die Beschäftigung der Synode mit der NS-Kirchengeschichte sei auch ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber denen, die zwischen 1933 und 1945 an der Kirche gelitten hätten, erklärte Christoph Picker. Wer aus der Geschichte lernen wolle, komme um die intensive Beschäftigung mit ihr nicht herum. Er halte es historisch für offensichtlich, dass Protestantismus und Nationalsozialismus in der Pfalz weitgehend Hand in Hand gingen. Zumindest indirekt sei die pfälzische Landeskirche auch in die Verbrechen involviert gewesen, indem sie beispielsweise sogenannte „Ariernachweise“ aus den Kirchenbüchern ausgestellt oder verweigert habe. „Hier spielte die Kirche der tödlichen NS-Rassenpolitik direkt in die Hände.“ Die Frage, wie die Landeskirche mit diesem historischen Erbe umgehen soll, sei, so Picker, mit dem Buch noch keineswegs beantwortet. „Vergangenheit lässt sich nie abschließend bewältigen. Sie kann verblassen, aber sie lässt uns nicht los.“

Auch Pfarrer Stefan Meißner vom Arbeitskreis Kirche und Judentum sprach von einer bleibenden Verantwortung der Landeskirche gegenüber dem Judentum. Der Prozess von Umkehr und Neuanfang in den christlich-jüdischen Beziehungen sei nach dem Ende des Dritten Reichs nur zögernd in Gang gekommen, resümierte Meißner in seinem Beitrag. Darin sprach er gelungene Initiativen und Begegnungen an und benannte offene Fragen und Herausforderungen, wie etwa einen zunehmenden israelbezogenen Antisemitismus und den aus seiner Sicht überfälligen Verzicht auf eine kirchliche Mission unter Juden.

Pfarrer Gerd Kiefer von der Evangelischen Arbeitsstelle Bildung und Gesellschaft stellte zum Thema „Versöhnungsarbeit“ praxisnahe Projekte vor, beispielsweise den Arbeitskreis Ukraine-Pfalz sowie das von der Männerarbeit der EKD unterstützte Kinderzentrum Nadeshda in Weißrussland, wo sich jährlich 5.000 Kinder aus verstrahlten Gebieten der Tschernobyl-Katastrophe erholen können. Pfarrer Detlev Besier von der Arbeitsstelle Frieden und Umwelt erinnerte sich an eigene Erfahrungen mit Konfirmanden bei seiner Spurensuche in jüdischen Gemeinden, dem erlebten Erstaunen und der tiefen Betroffenheit. Stolpersteinlegungen und die NS-Gedenkstätte in Neustadt seien Beispiele eines belebten wie gelebten Erinnerns, so Besier.

Hinweis: Die Frühjahrssynode 2016 der Evangelischen Kirche der Pfalz tagt bis 4. Juni im Martin-Butzer-Haus in Bad Dürkheim. Die Rolle der Landeskirche im Nationalsozialismus ist das Schwerpunktthema der Synode. Auf der Tagesordnung steht am Freitag u.a. die mittelfristige Finanzplanung der Landeskirche, am Samstag die Wahl eines Stellvertreters des Kirchenpräsidenten. Die öffentlichen Plenarsitzungen beginnen am Freitag und Samstag jeweils um 9 Uhr.